Du vermenschlichst den Wolf und versuchst, die zukünftige Entwicklung allein aus Deinen persönlichen Gefühlen und menschlichen Vorstellungen zu antizipieren. In dieser naiven Vorstellungswelt herrscht die Idee vor, dass irgendwann das letzte Wild aufgefressen ist und dann Wolf für sich allein bewusst überlegt, was er sonst noch so futtern könnte und dann nach der Großmutter oder dem Rotkäppchen schielt. Ich dachte ehrlicherweise, dass wir in der Diskussion da schon weiter wären, zumal die veränderten Reproduktionsraten, Abwanderungen, erhöhte Welpensterblichkeit, Revierkämpfe oder Seuchen als Regulativ und damit das Basiswissen wilbiologischer Vorgänge fortlaufend komplett ignoriert werden.gerdson hat geschrieben:Nun weiss ich nicht, wann Du selbst das letzte Mal wirklich Hunger verspürt hast, aber bevor man sich als Wolf freiwillig in sein Schicksal fügt und elendig und einsam am Hunger stirbt, sieht man sich schon noch mal nach anderen geeigneten Nahrungsquellen um.
Tatsächlich unterscheiden Wölfe nicht zwischen menschlichem Eigentum (Schafe, Fohlen, Kälber) und Wildtieren, wenn erstere doch so schön ungeschützt leicht und gefahrlos zu erbeuten sind. Bekämen sie bei jedem Versuch, einen E-Zaun zu überwinden, regelmäßig einen schmerzhaften elektrischen Schlag, liefen Weidetiere im Ranking "leicht und gefahrlos zu erbeuten" schon mal viel weiter unten. Bei vielen ungeschützten Weidetieren, wie z. B. in Niedersachsen, wo in mehr als 80% der gemeldeten Vorfälle kein wolfsabweisender Mindestschutz vorhanden war, werden Wölfe quasi fahrlässig positiv auf Weidetiere konditioniert.
Trotzdem ist der Anteil von Nutztieren auf dem wölfischen Speisezettel marginal, wie wir gleich sehen werden, wenn Deine gefühlten Fakten durch wissenschaftlich erhobene Zahlen korrigiert werden.
Tun die Wölfe aber doch!gerdson hat geschrieben:Würden Wölfe ausschließlich Wild reißen, hätten wir große Teile der Diskussion überhaupt nicht, dann müssten sich die Jäger in der Tat damit abfinden, dass ihn ein neuer Konkurrent um das durchaus wohlschmeckende Fleisch des Wildes erwachsen ist. Tun die Wölfe aber nicht [...].
In Niedersachsen wurden in Untersuchungen der Tierärztlichen Hochschule Hannover in Zusammenarbeit mit der Universität Hildesheim und der Landesjägerschaft Niedersachsen 332 wölfische Kotproben (von 2013-2017) ausgewertet. Bei den Häufigkeiten der einzelnen Nahrungskomponenten lag Reh an erster Stelle (47,7%), danach Wildschwein (31,6%), dann Rothirsch (17,9%). Nutztiere lagen ganz hinten abgeschlagen bei 0,4%. Ähnlich verhielt es sich bei dem Anteil der Biomasse: Wildschwein 33,78%, Rothirsch 29,18%, Reh 17,19%. Nutztiere dagegen : 0,23%.
Landesjagdbericht Niedersachsen 2017/18: Untersuchungen zur Nahrungsökologiedes Wolfes (Canis lupus) in Niedersachsen, Seite 104 https://www.ml.niedersachsen.de/startse ... -5138.html
Eine bundesweite Erhebung mit Daten von 8.781 Kotproben aus den Jahren 2001-2019 bestätigt den Trend: Reh: 50,9%, Wildschwein 20,3%, Rothirsch 13,1% Nutztiere: 1,6%.
Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW): Porträt des Europäischen Wolfes https://www.dbb-wolf.de/Wolf_Steckbrief/portrait
Es macht übrigens einen Unterschied, ob man an Menschen gewöhnte Gehegewölfe in einem Zoo auf einem kleinen begrenzten Gehege am Entkommen hindern möchte, oder ob man wildlebende Wölfe in ihrem Territorium von 250 km² - 350 km² davon abhalten möchte, auf eine relativ kleine Fläche mit möglichen Beutetieren einzudringen, während drumherum weitere wilde Beute verfügbar ist. Darum hinkt der Vergleich mit dem Zoo-Zaun, wie ja auch die oben genannten Zahlen und die zuvor dargelegten Erfahrungen aus Dänemark belegen.
Zum Zaunbau wurde hier auch schon alles gesagt. Ein Zaun muss sowieso da sein, um Weidetiere am Ausbrechen zu hindern, also kann man den bestehenden Zaun mit relativ wenig Aufwand und Kosten wolfsabweisend umrüsten. Miljøstyrelsen hält die Nachrüstung mit zusätzlichen stromführenden Litzen für effektiv und fördert drei Modelle.
Miljøstyrelsen: Tilskud til ulvesikring af hegn i to områder https://mst.dk/natur-vand/natur/artslek ... g-af-hegn/
Dass die Versprechen der Jäger an ängstliche Menschen, eine Wolfsbejagung würde Wölfe wieder "scheu" machen, so dass sie Siedlungen meiden würden, reines Jägerlatein und dreiste Augenwischerei sind, lässt sich immer wieder am Beispiel Schweden erkennen. Anfang der Woche durchquerte ein Wolf die Gemeinde Arboga (Provinz Västmanland, 11.000 Einwohner) zur Radiomusik Take a Chance on me von ABBA. Die Schweden haben auch trotz Rekordwolfsjagd kein Vertrauen gefasst und ihre Kinder in Schulen und Kindergärten nach Bekanntwerden der morgendlchen Sichtung (aus dem Auto heraus!) bis mittags in den Räumlichleiten eingesperrt. Funktioniert ja total gut mit dem Sicherheitsgefühl nach den großangelgten Wolfsjagden...
SVT Nyheter, 28.03.2023: Se när vargen springer runt i Arboga – skolbarn hölls inne https://www.svt.se/nyheter/lokalt/vastm ... klappa-den
Und hier zur Veranschaulichung die Risszahlen in Schweden, nachdem die Lizenzjagd 2010 dort eingeführt wurde:
2000: 18
2001: 36
2002: 88
2003: 146
2004: 112
2005: 128
2006: 139
2007: 111
2008: 122
2009: 126
2010: 97
2011: 135
2012: 134
2013: 185
2014: 166
2015: 172
2016: 217
2017: 150
2018: 130
2019: 97
2020: 147
Sveriges Lantbruksuniversitet (SLU) - Swedish University of Agricultural Sciences, 05.05.2022: Rovdjursskador på tamdjur https://www.slu.se/centrumbildningar-oc ... a-tamdjur/
War ja echt erfolgreich, die Bejagung, als Herdenschutzmaßnahme! Ich sehe nur keinen Unterschied...