Was ist "Tarifeinheit" ?

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Lars J. Helbo
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Was ist "Tarifeinheit" ?

Beitrag von Lars J. Helbo »

Ich sitze gerade und sehe Anne Will - über der Bahnstreik. Dabei wird mir so langsam klar, dass scheinbar ein Riesenunterschied zwischen D und DK besteht. Nun kenne ich mich mit Tarifstrukturen in D aber gar nicht aus, und deshalb hier einige Fragen.

Also, in DK ist es grundlegend so, dass jede Berufsgruppe ihre eigene Gewerkschaft hat. Diese Gewerkschaft verhandelt dann mit den Arbeitgebern über ein Tarifvertrag für ihre Mitglieder bzw. Berufsgruppe.

Ganz so klar ist es natürlich nicht immer. In den letzten Jahren haben sich einige Gewerkschaften für kleinere Berufsgruppen zusammen getan, um stärker zu stehen. Es ist auch klar, dass wenn eine Berufsgruppe einen Tarifvertrag abschließt, dann hat es oft eine "Abfärbung" auf andere Gruppen. Aber grundlegend gilt: Eine Berufsgruppe - ein Gewerkschaft - ein Tarifvertrag.

D.h. natürlich auch, dass es in eine Firma oft mehrere Tarifverträge geben kann, weil die Firma Beschäftigte aus mehrere Berufsgruppen hat.

So langsam kommt mir aber der Verdacht, dass dies vielleicht in D anders ist? Es kam mir vor, als ob man in D oft (immer ?) nur ein Tarifvertrag für eine Firma hat. Also das alle Angestellte einer Firma unter dem selben Tarifvertrag arbeiten, obwohl sie ganz verschiedene Berufsgruppen angehören. Es wurde z.B. gesagt, dass die Klinikärtzte jetzt ein eigener Tarifvertrag bekommen haben, unabhängig von den Krankenschwestern :shock:

Das klang fast so, als hätte man früher ein einheitlicher Tarifvertrag für Ärzte, Krankenschwestern, Verwaltungsangestellte, Krankenträger und wer sonst noch im Krankenhaus arbeiten ???

Also für meine dänische Begriffe wäre diese Vorstellung absolut abstrus - ist das wirklich so ???
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galaxina
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Beitrag von galaxina »

vielleicht sind betriebsvereinbarungen gemeint, die vom flächentarifvertrag abweichen koennen?
reimund1012

Beitrag von reimund1012 »

Hej @ Lars,

der Unterschied zwischen Deutschland und Dänemark ist das in Deutschland die Beschäftigten einer ganze Branche z.B. Bau, Chemie, Metall-Elektro, öffentlicher Dienst, Verkauf etc. in nur wenigen großen Einheitsgewerkschaften zusammengefasst sind.
Wobei diverse Dienstleistungsgewerkschaften sich auch noch zur Ver.Di zusammengeschlossen haben um ihrer Position zu stärken.

Umgekehrt gilt die analog auch für die Arbeitgeber, die sich zu mächtigen Verbänden zusammengeschlossen haben.

In den meisten Betrieben, auch wenn es dort "branchenübergreifende" Zweige gibt , sind die Arbeitnehmer in der Regel alle in der selben Gewerkschaft z.B. IG Metall organisiert und auch der Arbeitgeber ist Mitglied im entsprechenden Arbeitgeberverband.
An sich ist dieses System für beide Seiten von Vorteil, da dann für einen Betrieb nur ein einziger Tarifvertrag gültig ist, was die Umsetzung erheblich vereinfacht.
Große Konzerne verhandeln direkt mit den Gewerkschaften und schliessen unabhängige "Haus-Tarifverträge" ab, die für die gesamte Branche "Vorbild-Funktion" haben.
Durch dieses System ist Deutschand bisher von Streikwellen, wie in Italien oder Frankreich üblich, weitestgehend verschont geblieben.

Das Problem in DE ist allerdings, dass sich die Einheitsgewerkschaften mittlerweile Lichtjahre weit von der Basis entfernt haben, und von den Mitgliedern verdächtig werden schon längst mit der Industrie unter einer Decke zu stecken.
Und da sich die Mitglieder von ihren Gewerkschaften nicht mehr vertreten fühlen, treten immer mehr aus diesen Organisationen aus.
Als Folge davon wächst natürlich die Macht der Arbeitgeber enorm an, was diese auch reiflich ausnutzen und den Druck auf die Arbeitnehmer immer weiter erhöhen.

Und jetzt kommt in DE auf einmal einen kleine unbedeutende Gewerkschaft ins Spiel, der auf einmal bewusst wurde welche enorme Macht sie eigentlich besitzt.
Und schon gehen bei den Arbeitgebern alle Alarmglocken an.
Mehdorn, unseren industriehörigen Politikern (und auch den Einheitsgewerkschaften) geht es im Grund gar nicht um die paar Millionen Personalkosten, die die Erfüllung der Forderung unserer Lokführer bedeuten würde.
(Die Kosten sind in der aktuellen Fahrpreiserhöhung schon längst eigerechnet.)
Es geht schlichtweg ums "Prinzip", nämlich einerseits die bewährte Taktik mit den "großen Gewerkschaften" für beide Seiten möglichst "günstige" Verträge auszuhandeln und anderseits "Stärke" zu beweisen damit andere Berufsverbände nicht auf ähnliche "ketzerische Gedanken" kommen.
Und die "großen Gewerkschaften" befürchten schlichtweg einen Machtverlust, weil sich viele "Schlüsselberufe" bei einem Erfolg der Lokführer wieder zu eigenständigen Verbänden zusammenschliessen könnten.

Gruß

Reimund
Jule68
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Beitrag von Jule68 »

Hallo Lars,

das ist in D alles etwas anders. In der Regel zählt für alle Mitarbeiter eines Betriebes der Tarifvertrag, der für den entsprechenden Industriezweig, zum Beispiel metallverarbeitende Industrie, gilt. Alle Mitarbeiter dieses Betriebes werden dann nach dem Tarif der IG-Metall bezahlt - je nach dem, welcher Gruppe sie innerhalb dieser Organisation angehören, eingeteilt in die entsprechenden Tarifgruppen der Techniker, der kaufmännischen Angestellten und so weiter.
Das gilt jedoch nur, wenn das Unternehmen gewerkschaftlich organisiert und dem Arbeitgeberverband angeschlossen ist. Ist ein Unternehmen nicht im Arbeitgeberverband, so ist es auch nicht an die geltenden Tarifverträge gebunden. In diesem Fall sind die Mitarbeiter gezwungen, sich um entsprechende Lohnerhöhungen und anderes, welches normalerweise von den Gewerkschaften im Rahmen der Tarifverträge ausgehandelt wird, selbst zu kümmern - im schlimmsten Fall also einmal im Jahr zum Chef zu rennen, und um eine Lohnanpassung an die Preiserhöhungen und die Inflationsrate zu bitten. Einen Rückhalt durch die Gewerkschaften gibt es hierbei nicht.

Ich hoffe, ich hab das soweit richtig erklärt - sollte jemand sich damit genauer auskennen, bin ich für jede Verbesserung/Erklärung dankbar.

hilsen, Jule
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Lars J. Helbo
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Beitrag von Lars J. Helbo »

Ja, so langsam wird mir klar, dass es hier wirklich sehr große Unterschiede gibt.

Es gibt zwar hier auch Zusammenlegungen von Gewerkschaften und Tarifgebiete und es gibt auch die Bestrebung, die detaillierte Verhandlungen in den einzelnen Betrieben zu führen. Aber grundlegend gilt immer noch: Eine Berufsgruppe - ein Gewerkschaft - ein Tarifvertrag.

Deshalb ist die Lage bei der Bahn in D für Dänen eigentlich auch nicht verständlich. Es kann hier zwar auch manchmal Streit zwischen den Gewerkschaften geben, wer für ein Bereich zuständig ist. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist die GDL aber ein anerkannter Gewerkschaft und die weit überwiegende Teil der Lokführer ist in diese Gewerkschaft organisiert. Damit wäre aus unsere Sicht auch klar, dass diese Gewerkschaft für die Lokführer "Verhandlungsberechtigt" ist und einen eigenen Tarifvertrag abschließen kann. Das hat mit den anderen Gewerkschaften eigentlich nichts zu tun. Es ist aus dänischer Sicht auch unverständlich, was daran problematisch sein sollte.

Ein anderer wesentlicher Unterschied scheint zu sein, dass ein Tarifvertrag in DK für alle verbindlich ist. Ob der Arbeitgeber Mitglied im Arbeitgeberverband ist, spielt dabei eigentlich keine Rolle.
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reimund1012

Beitrag von reimund1012 »

Hej @ Lars,

das dänische System, bei dem ein Tarifvertrag für ALLE Beschäftigten einer Berufsgruppe gilt, hat für die Arbeitnehemer natürlich enorme Vorteile.
Der derzeitige leidige Diskussion über Mindestlöhne wäre dann nämlich definitiv vom Tisch, und staatlich sanktioniertes Lohndumping wäre gar nicht möglich.
Meiner Meinung nach wird auch der Osten Deutschlands von vielen Unternehmen auch deshalb sehr stiefmütterlich behandelt, weil man gar nicht möchte das sich die Wirtschaftskraft in Deutschland halbwegs homogen entwickelt.
So kann man nämlich die unterschiedlich hohe Beschäftigtenzahl wunderbar ausnutzen um Druck auf beide Seiten auszuüben.
Im Osten hält man die Löhne niedrig indem man die Arbeitsplätze knapp hält, im Westen droht man seinen Mitarbeitern gerne damit die Fertigung in den "billigen Osten" auszulagern.
Das hält auch im Westen trotz guter Auftragslage das Lohnniveau schön niedrig.

Total pervers ist ja auch die Diskussion über "Kombilöhne".
Man muss sich das einfach einmal vergegenwärtigen was das bedeutet:
Es muss nur rigoros mit Arbeitsplatzabbau gedroht werden, und schon kriechen Politiker und Einheitsgewerkschaften vor der Macht des Kapitals zu Kreuze.
Anstatt mit den satten Gewinnen angemessene Löhne für ordentliche Arbeit zu bezahlen, soll der Steuerzahler die Hungerlöhne der Beschäftigten "aufstocken".
Alles damit die Spekulanten an der Börse noch größere Gewinne erzielen können.
Das ist so etwas von pervers, da würden in anderen Ländern wahrscheinlich schon die Barrikaden brennen.

Aus diesem Grund findet die GDL bei mir die volle Unterstützung.
Nach 25 Jahren Katzbuckeln ist endlich ist mal wieder eine Arbeitnehmervertretung bereit, sich gegen den staatlich und gewerkschaftlich sanktionierten Sozialabbau durchzusetzen.

Für Euch in Dänemark ist das ja eine Selbstverständlichkeit.

Gruß

Reimund
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Lars J. Helbo
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Beitrag von Lars J. Helbo »

reimund1012 hat geschrieben: Total pervers ist ja auch die Diskussion über "Kombilöhne".
Na ja, so was "ähnliches" gibt es ja hier auch. Wenn jemanden z.B. behindert ist, oder langzeitarbeitslos mit schwere soziale Probleme, dann wird das Arbeitsamt ja oft ein "Lohnzuschuß" bewilligen - entweder für eine Einarbeitungsphase oder permanent als ein "Skånejob".

Es gibt eben Menschen, die nicht so viel leisten können, das sie ein normaler Gehalt "wert sind".
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micha_i_danmark
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Beitrag von micha_i_danmark »

Lars J. Helbo hat geschrieben:oder permanent als ein "Skånejob"
Hmm wieder ein neues Wort gelernt. Lars, Du bist doch so bewandert - hast Du eine Ahnung, warum man das so nennt? Klingt ja so, als hætten die Dænen ein nicht so positives Bild ihrer schonischen Nachbarn oder woher stammt das Wort?

Gruesse

Micha
MichaelD
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Beitrag von MichaelD »

Bei dem Kampf der Lokführer und ihrer Gewerkschaft GDL geht es nicht darum, den tariflich Ungeschützten eine Bresche zu schlagen! Die Lokführer wollen für sich selber bzw. die eigene Klientel Vorteile erkämpfen - exklusiv. Sie wollen Löhne zu erstreiten, die höher sind als für vergleichbare Angestellte der Verkehrsbranche. Vergleichbar bedeutet hier ähnliche Ausbildungslänge, ähnliche unbequeme Arbeitszeiten usw. Die Löhne dieser Kollegen sind den Lokführern scheissegal. Sie wissen um ihre Macht, und nutzen sie nicht solidarisch, sondern gruppenegoistisch.

Die Lokführer haben das Recht auf ihrer Seite. Aber dass ihr Kampf nicht viel Sympathie geniesst, gerade auch nicht unter anderen Gewerkschaftlern, ist wohl wenig überraschend.

Was die Diskussion der gesetzlichen Mindestlöhne angeht - die hat auch einiges mit Lohnkonkurrenz durch ausländische Unternehmen zu tun. Die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen kann im Gegensatz zu gesetzlichen Mindestlöhnen nicht auf Ausländer ausgeweitet werden, die für ausländische Unternehmen fest in Deutschland arbeiten. Diese Konkurrenz nimmt ständig zu. Ich teile daher nicht die Auffassung, dass das Thema erledigt wäre, wenn man den Umfang der Allgemeinverbindlichkeitserklärungen wieder auf frühere Niveaus fahren würde. Davon abgesehen gibt es noch den Lohndruck durch Aushilfskräfte, die tarifvertraglich oft nicht erfasst sind.

In DK hat man ja sowohl eine (nicht durch den Staat sondern durch örtliche Arbeitskämpfe durchgesetzte) Allgemeinverbindlichkeit, als auch Mindestlöhne.

Gruss Michael
reimund1012

Beitrag von reimund1012 »

Hallo Lars,

wenn es darum gehen würde Menschen mit einem Handicab in Lohn und Brot zu bringen, dann wären "Kombi-Löhne" sicherlich ein probates Mittel gegen das nichts einzuwenden ist.
Aber bei uns werden ja ganze Berufszweige, wie private Postzusteller, Wachleute, Reinigungspersonal etc. als "nicht bezahlbar" gebrandmarkt, und es wird lautstark nach "staatlichen Lohnsubventionen" gerufen.

DAS ist pervers !

Gruß

Reimund
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Lars J. Helbo
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Beitrag von Lars J. Helbo »

MichaelD hat geschrieben:Die Lokführer wollen für sich selber bzw. die eigene Klientel Vorteile erkämpfen - exklusiv.
Und was ist dabei schleckt? Das ist doch die Aufgabe einer Gewerkschaft - sich für die eigene Mitglieder einzusetzen und ihnen Vorteile zu schaffen. Die andere Berufsgruppen haben doch ihre eigene Gewerkschaften, die sich für ihre Interessen einsetzen sollten. Das kann doch niemals Aufgabe von GDL sein ???

Das heißt natürlich nicht, dass eine Gewerkschaft unbegrenzt einfordern kann. Wenn der Preis für die Arbeit zu hoch steigt, dann wird sich das Angebot früher oder später verdünnisieren und dann kann es ganz schief gehen. Gutes Beispiel dafür war in DK die Typographen. Sie hatten einer der stärksten Gewerkschaften überhaupt und haben sehr gut verdient. Genau aus diesem Grund haben die Arbeitgeber aber dann auch den Beruf abgeschaft, so bald dies technisch möglich wurde.
MichaelD hat geschrieben: Die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen kann im Gegensatz zu gesetzlichen Mindestlöhnen nicht auf Ausländer ausgeweitet werden, die für ausländische Unternehmen fest in Deutschland arbeiten.
Wieso nicht? Das funktioniert doch in DK.
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Beitrag von galaxina »

MichaelD hat geschrieben: Die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen kann im Gegensatz zu gesetzlichen Mindestlöhnen nicht auf Ausländer ausgeweitet werden, die für ausländische Unternehmen fest in Deutschland arbeiten.
Wieso nicht? Das funktioniert doch in DK.[/quote]

in deutschland wird das durch tausende von "selbstaendigen" umgangen
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Lars J. Helbo
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Beitrag von Lars J. Helbo »

Skånejob heißt es, weil es um Arbeitnehmer geht, die geschont (skånet) werden müssen.

Ja, ich denke dort gibt es ein Unterschied. Die Frage ist wohl, ob der Lohnzuschuß zum Arbeitnehmer oder zum Job gewährt wird. Wir hatten ja auch Anfang der 90'er einige Regelungen, wo es darum ging "minderwertige" Arbeiten billiger zu machen. Das war vor allem "Hjemmeservice" wo der Staat ein Zuschuß bezahlt hat, wenn Privatleute Arbeiten im Haus und Garten ausführen lies.

Es gab auch "Iværksætterydelse", wo Arbeitslose drei Jahre lang ihr Arbeitslosengeld weiten bekommen konnten, wenn sie sich selbständig gemacht haben.

Das ganz große Problem mit solche Regelungen ist aber, dass sie extrem Wettbewerbsverzerrend sind. Deshalb sind sie hier inzwischen weitgehend abgeschafft.
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MichaelD
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Beitrag von MichaelD »

Wenn eine Gewerkschaft markant gruppenegoistisch handelt, dann kriegt sie Gegendruck - von vielen Seiten.

Dass die betrachtete Berufsgruppe sich selbst überflüssig machen kann, halte ich für theoretisch. Allerdings können Arbeitgeber und Staat zusammen anders reagieren - durch Beseitigung von Berufszugangsbarrieren zum Beispiel.

Jeder Eisenbahner weiss, welche Privilegien sich die Lokführer in anderen Ländern erstritten haben. Man braucht keine branchenübergreifenden Verschwörungstheorien, um den Widerstand der DB-Führung zu erklären. Die DB wird ablehnen, so lange sie nicht von der Politik und ihren Güterverkehrskunden gezwungen wird.

Was die Allgemeinverbindlichkeit angeht, so meinte ich die traditionelle deutsche Methode mit ministeriellen Verordnungen. Diese können nicht auf ausländische Unternehmen angewandt werden. In DK funktioniert die Allgemeinverbindlichkeit über den Arbeitskampf. Hier wird ein Unternehmen/Projekt/Baustelle von Gewerkschaftsmitgliedern, die nicht dem blockierten Unternehemen angehören, blockiert/boykottiert. Das setzt allerdings gewisse Rechtsgrundlagen voraus, die in Deutschland nicht bestehen. So darf eine dt. Gewerkschaft meines Wissens nicht Angehörige eines Unternehmens, dass den Tarif einhält, zum Arbeitskampf gegen ein anderes Unternehmen auffordern - und dann auch noch Lohnersatz leisten. Und selbst wenn es rechtens wäre, zweifle ich, ob die Mentalität und Bereitschaft vorhanden wäre. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ist es ja schwierig, Gewerkschaftler zu externen Aktionen zu überreden, jedenfalls wenn sie dem eigenen Arbeitgeber schaden könnten. Freilich, wenn der eigene Arbeitgeber mitspielt...
MichaelD
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Beitrag von MichaelD »

Ich kann nach Recherchen noch etwas präzisieren:
Blockaden und Betriebsbesetzungen als Mittel des Arbeitskampfes sind nach deutschen Recht generell verboten und begründen Schadenersatzansprüche gegen Teilnehmer und Initiatoren. Der Grund ist, dass das deutsche Grundgesetz die "negative Koalitionsfreiheit" garantiert: Wer trotz mieser Bedingungen arbeiten will, darf daran nicht gehindert werden. Und das Unternehmen darf nicht daran gehindert werden zu leisten, was es mit dem vorhandenen Personal vermag.

Wenn gar Betriebsfremde an solchen Formen des Arbeitskampfes teilnehmen, muss die Polizei eingreifen.

Die in Dänemark üblichen Instrumente zum Durchsetzen von Tarifverträgen bei Unternehmen, deren Mitarbeiter nicht selber streiken, stehen in Deutschland also nicht zur Verfügung. Die Mitarbeiter müssen selber streiken, sonst geht nichts.


Ach ja, ich muss mein früheres Statement teilweise zurücknehmen: Inwieweit für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge für Arbeitnehmer EU-ausländischer Unternehmen noch gelten, bin ich mir doch nicht sicher. Ich werde aus verschiedenen Quellen nicht klug. Fest steht, dass gesetzliche Mindestlöhne des Bestimmungslandes nicht umgangen werden dürfen.

Gruss Michael