Schule, Bildung in DK nach PISA

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MichaelD
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Beitrag von MichaelD »

Wenn Kinder im Alter von 10-11 Jahren schon das Gefühl bekommen, dass sie auf den Gebieten, die interessieren, mehr wissen und vor allem mehr verstehen, als der Lehrer des Faches, dann ist der Unterricht ernsthaft in Gefahr! Warum soll ein solches Kind einem Laien zuhören? Die fachliche Autorität ist die letzte Bastion des Respekts.

Wenn diese Kinder erleben, dass ausgeteilte Zettel, darunter die Rundschreiben an die Eltern, stets Rechtschreibfehler erhalten, und die Eltern vielleicht auch noch lästern, ist der Lehrer fertig!

Ein Fachlehrer zeichnet sich in meinen Augen dadurch aus, dass er Zusammenhänge erklären kann, ja dass er überhaupt erklären kann, nach Möglichkeit mit Beispielen aus der Lebensspäre des Kindes. Ein Lehrer, der fachlich nicht auf sicherem Grund steht und nicht im Denken im Fach geübt ist, kann das nicht leisten. Dass ein Fachlehrer ein wandelndes Fachlexikon sei, ist eine groteske Verleumdung.

Schwerpunkt auf Mündlichkeit und Face-to-face-Unterricht ist meines Erachtens ein grösseres Problem in Dänemark. In Deutschland gilt allgemein eine Gleichwertigkeit mündlicher und schriftlicher Leistungen, jedenfalls in der Sekundarstufe. Dies ist ein wesentliches Instrument, um u.a. der Benachteilung von Jungen in bestimmten Altersgruppen entgegegenzuwirken - ein Gebiet, auf dem DK in Pisa katastrofal abschnitt.
Ein gemeinsame Herausforderung aller Schulsysteme ist die Anwendung von Lehrsoftware für die individuelle Entwicklung.

@runesfar:
Du vergisst, dass das deutsche öffentliche Schulwesen eine sehr alte Tradition hat. Die allgemeine Schulpflicht wurde eingeführt mehrere Generationen, bevor die Leibeigenschaft abgeschafft wurde. Du würdest doch wohl auch nicht die heutige Landwirtschaft aus der Institution der Leibeigenschaft erklären? Davon abgesehen scheint mir hier eine Besonderheit Brandenburgs vorzuliegen, wenn die Geschichte denn wahr ist. Lehrerseminare hatten (so lange es sie gab), auch eine sehr lange Tradition.
sven estridsson

Beitrag von sven estridsson »

Lars J. Helbo hat geschrieben:
Es stimmt, dass es keine formelle Anforderungen an die fachliche Qualifikation der Lehrer gibt, und? Seien wir doch mal ehrlich. Das was fachlich in den ersten 10 Jahren gefordert wird, ist doch in den meisten Fächern letztendlich Pippifax. D.h. wenn der Lehrer einen ordentlichen Allgemeinwissen hat und wenn er immer ordentlich vorbereitet ist - also mindestens 2 Lektionen im voraus ist, dann wird er doch keine fachliche Probleme bekommen - vorausgesetzt er ist ein guter Pädagoge.

hahah, guter scherz.....so einen mist habe ich lang nicht mehr gelesen, lehrer müssen was wissen, sie müssen was gelernt haben. punkt. Ich würde mein kind niemals zu einem menschen schicken der lediglich über eine gute allgemeinbildung verfügt....im zweifelsfall würde ich mir sein diplom anschauen, aber ehrlich, wo kommen wir denn hin.....ersten 10 jahren....stimmt, da haben wir in deutschland auch noch nichts gelernt....ausser brötchen schmieren und tischtennis in der pause....

schockiert, andersen
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Lars J. Helbo
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Beitrag von Lars J. Helbo »

MichaelD hat geschrieben:Wenn Kinder im Alter von 10-11 Jahren schon das Gefühl bekommen, dass sie auf den Gebieten, die interessieren, mehr wissen und vor allem mehr verstehen, als der Lehrer des Faches, dann ist der Unterricht ernsthaft in Gefahr! Warum soll ein solches Kind einem Laien zuhören? Die fachliche Autorität ist die letzte Bastion des Respekts.
Das ist ja genau der Punkt, den der gute Professor Mike Sandbothe in frage stellt - und ich gebe ihm Recht. Es geht hier um seine dritte Basisannahme: Das der Lehrer ein "omnikompetenter Wissensverwalter" sein muss. Das hat vielleicht vor 30 Jahren funktioniert. Damals war es vielleicht möglich, dass ein Lehrer durch sein Studium so viel Wissen erwerben konnte, dass er in jedem Fall mehr wissen konnte als jede einzelne Schüler.

Heute funktioniert es aber nicht mehr. Die Schüler haben durch das Internet Zugang zu einen solchen Flut von wissen, dass es immer wieder Fälle geben wird, wo ein Schüler irgend etwas herausgefunden hat, was der Lehrer nicht weis. Dazu kommt, dass Wissen keine feste Größe ist. Egal wie gut ein Lehrer ausgebildet ist, es wird immer wieder Fälle geben, wo sein im Studium erworbenes Wissen nach kurzer Zeit veraltet ist.

Ein kleines Beispiel dazu. Unsere älteste Tochter hatte als sie 10-11 Jahre alt war ein Lehrer, der eigentlich sehr gut war. Er war auch relativ Jung hatte also sein Studium vor nur wenige Jahren abgeschlossen. In eine Biologie-Stunde hat er dann erzählt, Kaninchen seien Nagetiere. Das hat er vermutlich auch so in sein Studium gelernt. Unsere Tochter hatte aber schon damals viele Bücher über Kaninchen gelesen und konnte sich auch die neuesten Informationen aus dem Internet suchen. Sie wuste daher, dass die neuere Forschung festgestellt hat, dass Hasen und Kaninchen eben keine Nagetiere sind. Sie gehören eine eigene Familie, die sich von den Nagern unter anderem dadurch unterscheiden, dass sie ihr Fresschen nicht mit den Vorderpfoten festhalten können.

Das gab eine lange Diskussion. Leider war der Lehrer Deine Meinung. Er wollte nicht zugeben, dass er sich geirrt hat. Vermutlich hat er auch gedacht, die fachliche Autorität sei die letzte Bastion des Respekts. Das hat aber nicht genützt - gerade weil er auf seine fachliche Autorität bestanden hat, hat er jeden Respekt verloren.

Das fand ich sehr Schade. Kein Mensch - und auch kein Lehrer - kann heut zu Tage alles wissen. Deshalb ist es auch vollkommen legitim, dass ein 10-11 jähriger in irgend ein Spezialgebiet mehr als der Lehrer weis.

Im Grunde genommen ist es auch vollkommen unproblematisch. Der Lehrer muss es nur von Anfang an zugeben können. Er muss von Anfang an sagen, dass er nicht alles weis. Dann ist es keine Katastrophe, wenn ein Schüler etwas heraus findet, was der Lehrer (noch) nicht weis. Es kann im Gegenteil ein riesen Motivationsfaktor sein - weil dann ein Wettbewerb beim suchen von Wissen entsteht.

Der Lehrer, der sich vor der Klasse hinstellt, um nur von seinem Wissen aus zu teilen, und dabei behauptet, er weis zu jede Frage die richtige Antwort, der wird immer wieder ertappt werden. Es wird immer wieder und immer öfter Schüler geben, die etwas herausfinden, was der Lehrer (noch) nicht weis. Damit wird er schnell jeden Respekt verlieren.
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Lars J. Helbo
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Beitrag von Lars J. Helbo »

MichaelD hat geschrieben:Ein Fachlehrer zeichnet sich in meinen Augen dadurch aus, dass er Zusammenhänge erklären kann, ja dass er überhaupt erklären kann, nach Möglichkeit mit Beispielen aus der Lebensspäre des Kindes.
Nach meiner Meinung soll ein Lehrer gar nicht so sehr erklären. Er soll dagegen zum entdecken anregen.

Ein Kind ist keine Flasche das gefüllt, sondern ein Feuer dass entfacht werden soll.

:wink:
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Beitrag von Lars J. Helbo »

MichaelD hat geschrieben: Schwerpunkt auf Mündlichkeit und Face-to-face-Unterricht ist meines Erachtens ein grösseres Problem in Dänemark.
In wie fern?

Gibt es hier zu viel oder zu wenig Mündlichkeit?
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Beitrag von Lars J. Helbo »

MichaelD hat geschrieben:Ein gemeinsame Herausforderung aller Schulsysteme ist die Anwendung von Lehrsoftware für die individuelle Entwicklung.
In meinen Augen ist die Benutzung von dediziertem Lehrsoftware ein Irrweg. Computer und Internet sollte kein Ersatz für Lehrer und Lehrbuch sein. Stattdessen sehe ich sie als Werkzeug und Hilfsmittel bei der Wissenssuche.

D.h. Computer und Internet ersetzen eher Stift, Papier, Kreide, Tafel und Bücherei. Außerdem ist sie ein Mittel zur Kommunikation - wenn z.B. der Lehrer Aufgaben via email verteilt oder wenn die Schüler mit Schüler aus fremde Länder chatten, um Sprache zu lernen.

Deshalb sehe ich auch kein Bedarf besondere Lehrsoftware zu entwickeln. Es gibt ja schon etliche solcher Programme. In der Regel beschränken sie sich aber eigentlich auf das einüben von bestimmtes Wissen oder Fähigkeiten. Das ist aber ein sehr eingeschränkter Zugang zu den neuen Medien.

Was die Kinder brauchen sind ganz normale Büro-Anwendungen (Textverarbeitung, Graphic etc.), Kommunikations-Software wie email und Chat sowie Zugang zur Informationssuche (Google und Wikipedia). Das ist das, was tatsächlich genutzt wird und etwas bringt.
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MichaelD
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Beitrag von MichaelD »

Nun habe ich ja nicht ganz so viel Zeit wie andere scheinbar, aber hier muss ich nochmal kommentieren:
Das gab eine lange Diskussion. Leider war der Lehrer Deine Meinung. Er wollte nicht zugeben, dass er sich geirrt hat. Vermutlich hat er auch gedacht, die fachliche Autorität sei die letzte Bastion des Respekts. Das hat aber nicht genützt - gerade weil er auf seine fachliche Autorität bestanden hat, hat er jeden Respekt verloren.
Was heisst hier meiner Meinung??? Ich sage doch nicht, dass der Lehrer besserwisserisch sein soll. Ich sage, dass eine hohe fachliche Kompetenz notwendig ist, um die Schüler bei der Stange zu halten. Natürlich irren sich Lehrer auch mal, sie sollen ihre Irrtümer und Zweifel einräumen können und Schülern den Platz lassen, sich profilieren zu können. Aber ihr Basiswissen muss in Ordnung sein.

Übrigens sagt die neueste, auf Genanalysen beruhende Forschung, dass die Hasenartigen so eng mit den Nagetieren verwandt sind, dass eine Abspaltung in eine eigene Tiergruppe übertrieben scheint.

Das Thema, inwiefern in den ersten 10 Schuljahren nur Pippifax gelehrt wird, und dass ein Lehrer nur ein bis zwei Tagespensen voraus sein muss will ich nicht eingehen, ich bin total uneinig.

Lars, ich verstehe nicht ganz, ob du "Wissen" nun entscheidend wichtig findest oder nicht. Deinen Fokus auf das Internet und andere IT-Werkzeuge finde ich zweifelhaft. Das Entscheidende ist doch wohl, dass die Kinder solides Grundwissen sowie die Fähigkeit zu denken erhalten. Zum Denken, zum Schlussfolgern muss man geführt werden. Gute Lernsoftware unterstützt das, während schlechte Software nur irrelevantes Faktenwissen trainiert.

Selbstverständlich soll Lernsoftware den Unterricht nicht ersetzen, sondern ergänzen. Ein Vorteil von Lernsoftware kann darin liegen, dass sie eine Individualisierung der Förderung unterstützen kann, die mit normaler Unterrichtsdifferenzierung niemals erreicht wird.

Mündlichkeit und Face-to-face-Unterricht: Über das Mengenverhältnis dieser Unterrichtsform im Ländervergleich kann hier wahrscheinlich niemand etwas Gesichertes sagen. Das, worüber ich schrieb, ist die dem Unterricht innewohnende Relevanz, die man Mündlichkeit und Face-to-face-Unterricht beimisst. Hier meine ich, dass die Folkeskole diesen Instrumenten einen höheren Wert beimisst, u.a. weil die Sichtung schriftlicher Arbeiten der Schüler durch den Lehrer insgesamt einen niedrigen Stellenwert hat. (Kann sein dass ich mich täusche, falls nichtbenotete Arbeiten in DK entgegen meinem Eindruck häufig durchgesehen werden.)
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Lars J. Helbo
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Beitrag von Lars J. Helbo »

Das wogegen ich vor allem opponiert habe, war diesen Absatz:
Wenn Kinder im Alter von 10-11 Jahren schon das Gefühl bekommen, dass sie auf den Gebieten, die interessieren, mehr wissen und vor allem mehr verstehen, als der Lehrer des Faches, dann ist der Unterricht ernsthaft in Gefahr! Warum soll ein solches Kind einem Laien zuhören? Die fachliche Autorität ist die letzte Bastion des Respekts.
Mit der jetzigen Informationsflut halte ich es für unvermeidbar, dass Kinder manchmal mehr wissen als der Lehrer. Ich halte das eigentlich auch nicht für problematisch. NUR wenn der Lehrer meint sein fachlicher Autorität sei der letzte Bastion des Respekts, dann wird es gefährlich. Daraus folgt nämlich, dass er nicht zugeben kann, ein Kind wüsste mehr als er, ohne Angst zu haben den Respekt zu verlieren. Er muss also zwangsweise besserwisserisch sein - was natürlich erst recht zum Verlust von Respekt führt.

Der Erwerb von konkretem Wissen halte ich für relativ unwichtig (im Gegensatz zum Regierung in DK). Ich halte es dagegen für wichtig, dass die Kinder lernen Wissen zu suchen, bewerten und sortieren.

Ich verstehe allerdings auch nicht ganz, was der Unterschied zwischen Grundwissen und Faktenwissen ist?

Was Lernsoftware angeht stimme ich Dir theoretisch zu. Ich kann mir aber nicht ganz vorstellen, wie diese gute Lernsoftware aussehen soll.
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Lars J. Helbo
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Beitrag von Lars J. Helbo »

Habe gerade ein schöner Satz gehört, der das Problem ganz gut veranschaulicht:

"In den vergangenen 350.000 Jahren hat die Menschheit insgesamt etwa 12 Exabytes Data eingesammelt. Dieser Menge wird sich im Laufe der kommenden zwei Jahren verdoppeln."

Das ist das Problem, das jede Unterricht heute gegenüber steht.
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