Wir verstehen die Aufregung nicht, denn in einem deutsch-dänischen Forum sollte ja Platz für Sichtweisen aus beiden Ländern sein.
Die Forderungen der FDP gibt es ja in ähnlicher Form auch in Dänemark von Dansk Folkeparti und Venstre, allerdings finden wir es auch eher ermüdend, "meterlange" Vollzitate aus Parteiprogrammen einfach so reinzustellen, ohne in eigenen Worten einzugrenzen, worauf man hinaus und was man eigentlich genau diskutieren will.
Wir haben aktuell einen interessanten Artikel im Kristeligt Dagblad gefunden, in dem ein Hochschuldozent für Bioethik, Mickey Gjerris, seine Sicht auf die Rückkehr des Wolfes darlegt. Er hält es für "gefährlich", dem Wolf kein Lebensrecht in der dänischen Natur zuzugestehen.
Er beginnt mit der Frage, ob ein
Wolf gefährlich sei - was niemand bestreite. Die Frage sollte eher lauten, wie gefährlich ein wildlebender
Wolf in der dänischen Natur sei. Und hier deute nichts darauf hin, dass von ihm ein nennenswertes Risiko für Menschen ausgehen würde.
Gjerris leugnet nicht, dass irgendwann vielleicht einmal etwas schief gehen könnte - das sei schließlich mit allen Dingen so. Man sollte auch nicht kategorisch ausschliessen, dass irgendwann irgendwo einmal ein Kind angefallen werden könnte - aber diese Wahrscheinlichkeit sei nun einmal verschwindend gering.
Aus Sicht der Beutetiere sei es keine schöne Vorstellung, ein Wolfsopfer zu werden. Und auch die betroffenen Weidetierhalter würden emotional belastet, aber für den finanziellen Verlust der Tiere erhielten sie immerhin eine staatliche Entschädigung.
Aus der Perspektive der Weidetierhalter formulieren Politiker wie Pia Adelsteen (Danks Folkeparti) und Erling Bonnesen (Venstre) eine Forderung nach einer erneuten Ausrottung der Wölfe in der dänischen Natur.
Gjerris aber möchte die Frage umkehren: Ist es nicht eher gefährlich, dem Wolf kein Lebensrecht in Dänemarks Natur zuzugestehen?
In Dänemark unterliege die Natur allein den menschlichen Präferenzen, egal ob diese wesentlich oder unwesentlich seien. Nur in dem Umfang, in dem es den Menschen in irgendeiner Weise nützlich sei, würde dem nichtmenschlichen Leben eine Daseinsberechtigung zugestanden.
In der Umweltethik bezeichne man diese Sichtweise als stark anthropozentrisch = menschenorientiert.
Und genau diese Sichtweise sei gefährlich, "sehr gefährlich". Menschengemachte Bedrohungen seien viel ernster und sichtbarer als die Gefahr durch den
Wolf. Gjerris denkt da unter anderem an den Klimawandel, den Verlust der Artenvielfalt und die Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung, die keine unverhältnismäßig schädlichen Nebenwirkungen einer ansonsten gesunden Entwicklung seien, sondern Ausdruck dafür, dass die Menschen mit diesem Kurs nicht nur die eigene, sondern auch die Lebensgrundlage für zahlreiche andere Arten
bedrohten.
Der
Wolf sei gefährlich. Aber im Vergleich mit den Gefahren, denen
die Menschen ihre Kinder im Namen des Fortschritts aussetzten - wie etwa Feinstaubemissionen, Chemikalien in Spielzeug und Lebensmitteln oder durch den Verkehr - sei die Gefahr durch den
Wolf geradezu überschaubar.
Richtig, der
Wolf töte Nutztiere auf schmerzhafte Weise. Verglichen aber mit den Millionen von Hühnern, deren kurzes und freudloses Leben im Schlachthof ende - auf Füßen, deren Laufflächen vom Stehen in den eigenen Exkrementen verätzt seien - klinge der Verweis auf das Wohlergehen einiger weniger Schafe eher hohl.
Mickey Gjerris stellt am Ende die Frage:
Der Wolf ist die Natur, die an Tür klopft. Wenn wir nicht einmal einem derartig kleinen Teil Wildnis Platz in unserem Leben und in unserer Gesellschaft zugestehen können, wie soll es uns dann gelingen, den Weg aus unserer selbstzerstörerischen, narzisstischen Kultur zu finden, die unsere kurzsichtige Gier erschaffen hat?
"Ulven er naturen, der banker på døren. Og kan vi ikke engang finde plads til så begrænset en vildskab i vores liv og samfund, hvordan skal vi så finde en vej ud af den selvdestruktive narcissistiske kultur, vi i vores kortsigtede grådighed har skabt?"
Kristeligt Dagblad, 19.03.2018: Lektor i bioetik: Det er farligt ikke at have plads til ulven i den danske natur
https://www.kristeligt-dagblad.dk/debat ... -i-danmark