Das Sterben der kleinen Inseln und auch der kleinen Dörfer

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Ingrid A.
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Das Sterben der kleinen Inseln und auch der kleinen Dörfer

Beitrag von Ingrid A. »

Hej zusammen,

ein Thema, dass mich sehr beschäftigt, ist das Sterben der kleinen Inseln - wie Christian es in einem Thread über Samsø geschrieben hat.

Es hat mich ein bisschen traurig gemacht. Und es stimmt. Wir haben es auf Samsø bemerkt, als wir vor 3 oder 4 Jahren das letzte Mal dort waren, als Mitarbeiter des damals noch existierenden Inselkrankenhauses
Unterschriften sammelten gegen die Schließung ihrer Klinik, als wir bemerkten, dass viele der schönen Häuser im September einfach leer und verschlossenen waren, dass so viele Häuser "Til salg" waren....

Und genau so haben wir es gesehen auf Langeland. Wir haben gesprochen mit "Einheimischen" (wenn ich das Wort mal gebrauchen darf), die uns das bestätigten, was wir auch feststellten: Seit die Fähre eingestellt wurde zwischen Kiel und Langeland stirbt die Insel. Geschäfte schließen, Menschen wandern ab, Häuser (siehe oben). Selbst die Ferienhaussiedlungen waren fast leer, und das auch Anfang September.

Møn - eigentlich noch eine "funktionierende" Insel. Und doch sind die Anzeichen nicht zu übersehen, immer das gleiche Bild, nur noch nicht so ausgeprägt.

Und dann die kleinen Dörfer, die wir gesehen haben. Esby, Fejrup, nurBeispiele von Helgenæs. Alles atmet irgendwie den Geruch des Verfalls aus. Häuser stehen leer, werden verkauft, tagsüber ist alles wie ausgestorben.

Wie kann so etwas passieren? Was läuft da falsch? Irgendwas kann an dem System in Dänemark doch nicht stimmen, auch wenn es noch so gut funktioniert.

Sicher, bei uns gibt es die Landflucht auch.... aber nicht so ausgeprägt, absolut nicht. Und irgendwie sehen selbst die Dörfer, die natürlich tagsüber auch ausgestorben sind, nicht so aus.

Vielleicht hat ja jemand eine Meinung dazu?

Ingrid (DK-närrisch, aber nicht blind) :wink:
lillebaek

Beitrag von lillebaek »

Gans interessantes Thema

Ich glaube du hast Recht, ich, als Däne in D, finde, dass es vielmehr Aktivität in den Dörfen in D gibt, und dass die nicht so aussterben wie in Dk - es könnte an folgendes liegen:

Die Dänen sind viel mobiler als die Deutschen, die ziehen öfter um, sei es aus beruflichen Gründen oder aus privaten Gründen.

Die Deutschen haben grösseren Zusammenhalt und Gefühl der Zugehörigskeit. Ich kenne viele Deutsche, die mit 30 oder älter immer noch sagen "ich komme aus Dorf X oder Y" obwohl die seit 10-12 Jahren nicht mehr da wohnen, fühlen die das immer noch als ihr zu Hause. Wenn die Dänen wegziehen um zu studieren oder arbeiten geht dieses Gefühl früher verloren. Übrigens finde auch das ganze Vereinsleben mit Schützenfesten, Fussball-Turniere usw gans toll - ich habe nicht das Gefühl, dass die dänische Dorfbewohner so engagiert sind?

Der deutsche Immobilienmarkt...wenn man erst mals ein Haus gebaut, gekauft oder geerbt hat, zieht man nicht einfach so weg, dann lieber 1½ Std. hin und zurück zur Arbeit pendeln. Ich erlebe das in Hamburg, unglaublich was für Fahrzeiten manche haben

Hat jemand noch andere Gründe?
Ursel
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Beitrag von Ursel »

Hej allesammen!
Fachlich fundiert kann ich dazu wohl leider nichts sagen, ich glaube aber doch, man muß deutlich unterscheiden zwischen Inseln und "normalen" Dörfern.
Wir wohnen in einem sehr kleinen Dorf - 3km in jede Richtung zur nächstgrößeren Gemeinde (die jetzt beide zu EINER ganz großen Kommune gehören, mit ein paar weit erntfernten zusammen, aber das nur am Rande.)
D.h. für uns: Alle Geschäfte, Bibliothek, Musikschule, Schwimmbad, Vereine etc. sind erstmal 3km von uns entfernt.
Wer das "Pech" hat, zur anderen Seite des größeren Ortes zu wohnen, hat nicht einmal wie wir eine Dorfschule mehr - d.h. auch das ist weit weg, incl. KIGA und Kinderbetreuung.

Als wir hierherzogen, wohnten hier sehr viele Alteingesessene, die inzwischen natürlich alt geworden waren oder während unseres Lebens hier alt wurden - die entschließen sich weitgehend, dann in den Ort zu ziehen, wo sie notfalls auch zu Fuß einkaufen, zu eine Veranstaltung u.a. können.
Oder aber sie kommen in eine Pflegeheim oder sterben sogar.
D.h. im Laufe der letzten Jahre hat sich hier bei uns im Dorf die Bewohnerschaft verjüngt, es zogen junge Familien ein, die Kinder hatten oder bekamen - bei der Geburt meiner 1. Tochter fing der Trend wohl an, daß die sundhedsplejerske erstmals (!!) eine Müttergruppe im Dorf zusammen brachte - nur 1 Monat später machte sie die 2. auf !

Gerade durch die Schule, aber auch in dem anderen (schullosen) Ort gibt es durchaus noch Zusammengehörigkeit; es gibt ja ein Versammlungshaus, das für Weihnachts-, Kanevals- und Herbstfeste genutzt wird; es gibt die Kirche und natürlich bewirkt die Schule bei uns auch so einiges.

ich glaube, die Dörfer auf dem festen Lande sind insofern immer noch (oder sogar wieder) attraktiv, weil die Häuser dort billiger sind und man mit Kindern eben gern dorthin zieht.
Ein Auto braucht jede Familie sowieso, also fährt man lieber weit zum Arbeitsplatz in Aarhus/Silkeborg o., statt dorthin zu ziehen.

Eine Insel schottet nunmal doch mehr ab - kaum jemand kann sich in unserer gestreßten Zeit wirklich leisten, für jede Unternehmung erstmal weit zu fahren und sein berufliches und soziales Leben fernab des Wohnortes zu haben.
Und junge Menschen, die zur Ausbildung ihren Heimatort verlassen, kehren selten wieder dorthin zurück - das finde ich, ist in Dtld. nun auch nicht anders.

Wenn dann noch lebenswichtige Einrichtungen wie Arztpraxen und Krankenhäuser schließen, sieht bald niemand mehr ein, wieso er sich so ein Leben antun soll, wenn er es auf dem Festland doch weitaus bequemer haben kann.
Denke ich - man darf ja nicht vergessen, daß alle Familien heutzutage in der Regel hier aus 2 Berufstätigen und mehreren Kindern bestehen.

Gruß Ursel, DK
Zuletzt geändert von Ursel am 19.02.2007, 22:13, insgesamt 1-mal geändert.
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Ingrid A.
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Beitrag von Ingrid A. »

Ich kann nur das schreiben, was ich gesehen habe: Kleine Dörfer, auch auf Jütland (die Namen weiß ich nicht mehr, wie auch...), die auf mich bzw. uns auch diesen etwas "morbiden" Eindruck machten.

Und die Inseln? Was mich so irritiert, ist die Tatsache, dass man (der dänische Staat??) es zulässt, dass die Inseln "sterben". Z.B. Langeland ist keine Insel im eigentlichen Sinne mehr, sie ist durch Brücken mit anderen verbunden und trotzdem... Selbst die Nordspitze von Fünen hat auf uns diesen Eindruck gemacht, wobei man doch sagen muss, dass gerade Fünen wirklich nun nicht mehr so ganz richtig als Insel durchgehen kann. Ich kann mich noch gut erinnern, dass mein Mann damals sagte: "Das Armenhaus Dänemarks?"

Bei uns hier hat man den Eindruck, dass eher die Städte aussterben... Wer will schon direkt in der Stadt wohnen?

Es ist bei uns natürlich auch so: Wenn beschlossene Sache ist, dass eine Institution geschlossen wird, kann man Unterschriften sammeln wie man will und so viel man will: Das Ding wird durchgezogen, ohne Rücksicht auf Verluste.
Ich wusste nur nicht, dass das in Dänemark allem Anschein nach genauso ist.

Frage: Geben Dänen schneller auf als Deutsche? Ich überleg das grade....
AnjaAue

Beitrag von AnjaAue »

Mein muss bei uns aber Dorf und Dorf auch unterscheiden.
Wenn eine gut funktionierende Infrastruktur in der Nähe ist, funktionieren die Dörfer auch. So zum Beispiel rund um Hannover.
Ich komme aber eigentlich aus dem südlichen Zipfel des Landkreises Hildesheim und dort bemerke ich das Gleiche wie auf den kleinen Inseln in Dänemark.
Die Bewohner werden immer älter. Jüngere ziehen weg, weil die nächste Arbeit 50 km oder mehr weg ist. Viele Häuser stehen zum Verkauf. Diese Dörfer sind auch für junge Familien nicht interessant, weil die Kinder 20 km zur Schule fahren und die nächste Einkaufsmöglichkeit 10 km weg ist.
Oder du musst nur mal durch Mecklenburg-Vorpommern fahren,...
Ursel
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Beitrag von Ursel »

Hej Fabula!

Die Dörfer / Häuser mögen manchmal "morbid für deutsche Perfektion gewöhnte Augens ein.
bedenke, daß Neubauviertel her seltener sind als in Dtld., wo der krieg ja viel ausradiert hat.
Viele alte Bauernhäuser, Kaufläden etc. werden restauriert - und dies geschieht eben peu à peu.
Und sieht oft älteraus.
Und tagsüber sind eben ALLE weg aus dem Dorf, was meinst Du, wie öde unser Dorf aussieht, wenn da nur 1 Tagesmutter und ich mit kind spazieren gingen und der Rest außer Dorf war. zum Arbeiten, zum beaufsichtigt-werden. Un dim Sommer eben auf Urlaub - weg in den Ferien! :D
Da kann der Eindruck manchmal auch täuschen!

Gruß Ursel, DK
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Ulli

Beitrag von Ulli »

Hej allesammen!

Auch mir ist im letzten Herbst ähnliches in Nord-Jytland aufgefallen.
Ich bin relativ regelmäßig dort, aber diesmal sind mir erstmals die vielen leerstehenden Geschäfte, Betriebe und Wohnhäuser in den Dörfern bewust geworden. Ob nun in Pandrup, auf dem Weg nach Hjörring oder Brönderslev.
Mal sieht man einen Brugsen o.ä. aber das wars dann auch schon.
Im südlichen Jytland sieht es, meine ich, anders aus. Woran liegt das?

Gruß aus HH
Ulli
Ingrid A.
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Beitrag von Ingrid A. »

Ich glaube nicht, dass ich ein"für deutsche Perfektion gewöhnte Auge" habe, ganz sicher nicht. Deutschland ist für mich nicht perfekt, und ich hasse Perfektionismus. Was aber mit diesem Thema nichts zu tun hat.

Aber ich müsste blind sein, wenn ich nicht an etwas, was ich sehr mag und schätze, bemerken würde, dass es sich verändert, und nicht zum positiven. Tourist sein heißt doch nicht, dass man nichts sieht, nichts hört, nicht redet, wie die 3 berühmten Affen.

Wie Ulli ja eben geschrieben hat, sind wir nicht die einzigen, denen es aufgefallen ist.

Mag sein, dass ihr recht habt mit den kleinen Dörfern, und trotzdem erklärt es nicht das langsame Zugrundegehen der kleinen Inseln.
Ursel
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Beitrag von Ursel »

Hej Fabula und Ulli!
Ja, es ist richtig, daß die kleineren Geschäfte überall zumachen - das ist eben verständlich daher, daß beide Eltern berufstätig sind und auf dem Heimweg eben im großen Supermarkt einkaufen, der zudem auch noch billiger ist.
Und nur von der vergessenen Milchtüte und den Brötchen am Samstag hält sich eben kein kleiner Brugsen.
Aber daran kann man ja nun nicht das Dorfsterben festmachen.
Bei uns gibt es eben nichts, keinen Automaten, keinen Kiosk, trotzdem hat sich das Dorf innerhalb der letzten 10-15 Jahre sehr verjüngt, d.h. die Alten sind weggezogen oder verstorben, die jungen Familien mit Kindern hergekommen. Was das interne Dorfleben durchaus belebt.
Nur wie gesagt, alltags wirkt das Dorf beinahe ausgestorbener als mit den Alten, die dann ja nochmal im Garten saßen/arbeiteten und spazierengingen - werkstags sind die jungen Leute alle anderswo...
Ich sehe nicht, daß das in deutschen Dörfern so viel anders ist.

Hingegen sind die Inseln ganz sicher ein besonderes Kapitel und können eben nicht mit den Vorzügen des Festlands konkurrieren.

Gruß Ursel, DK
Zuletzt geändert von Ursel am 19.02.2007, 22:09, insgesamt 1-mal geändert.
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Nullermand
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Beitrag von Nullermand »

Hej Fabula und alle,

da hast du ein sehr interessantes Thema angeschnitten (und zwar gerade, als ich auf dem Weg zu „meiner“ aussterbenden Insel in DK war.) Du hast Langeland ja schon erwähnt, und dazu kann ich, jetzt wo ich wieder hier bin, auch noch ein bisschen beitragen, weil ich dort sehr oft bin.

Es war wohl eher nicht die Kiel-Fähre, die der Insel den Rest gegeben hat. Mit der verschwanden die Butterfahrten, aber von denen hatte Langeland ja nicht soviel Profit (Tagestouristen in Bagenkop) Für Sommergäste aus DE ist der Weg nun zwar anders, aber zeitlich nicht länger. Viel schlimmer war m.E. der Wegfall der Fähre Lohals-Korsør, denn über diesen Weg war Langeland früher viel dichter an Seeland und damit an Kopenhagen angebunden. Als mit der Einweihung der Storbæltbrücke die Fähre eingestellt wurde, haben viele Seeländer/Kopenhagener ihre Sommerhäuser auf Langeland aufgegeben. Freunde aus Lohals haben uns erzählt, daß es früher 40 Geschäfte im Ort gab - heute gibt es 4. Aber alles hat zwei Seiten - mit der Fähre verschwand auch einiger Schwerverkehr aus dem Dorf.

Als wir unser Haus in Lohals vor vier Jahren kauften, sah ich das Dorf so wie du - sterbend. Und ich war mir gar nicht sicher, ob wir das richtige taten. Aber ich kann dich beruhigen: was du siehst ist Veränderung, aber die hört ja nicht dort auf, wo du sie schilderst. Tranekær-Kommune (heute Langelandkommune) hat inzwischen die Wohnpflicht aufgehoben - und etliche der damals verfallenen Häuser sind heute schöne, renovierte Ferienhäuser. Der Schritt war zurecht umstritten, da Tourismus ja nur im Sommer Leben in die Dörfer bringt - aber dort hat man gesagt: besser als nichts.

Gleichzeitig ist nun der Bau der Autobahn Odense-Svendborg im Gang (und fast bis Kværndrup abgeschlossen). Und da lese ich gerade diese Woche in der Inselzeitung: Rudkøbing ist weit im Verzug mit der Ausweisung von Gewerbegrundstücken. Die Nachfrage ist unerwartet hoch, so daß man die noch freien Grundstücke jetzt an die Firmen verkauft, die die meisten Arbeitsplätze auf die Insel bringen.

Und dann hat man die dänischen Rentner für die Insel entdeckt - und das geht so: ehemals wohnpflichtige Häuser werden jetzt als Sommerhäuser renoviert und ausgebaut von Leuten, die als Rentner dann in ihr „Sommerhaus“ ziehen, weil sie der Weg zur Arbeit dann ja nicht mehr interessiert. Ein gutes Pflegeangebot für die Zeit, die danach dann noch kommt, ist natürlich Voraussetzung - das wird also prioritiert.

Eigentlich wollte man auch Familien mit Kindern für Langeland begeistern - tolle Natur, intaktes Dorfleben (@ lillebæk: ich sehe weitaus mehr Vereine und Aktivitäten in dänischen Dörfern als in deutschen, zumindest als in dem deutschen Dorf, in dem ich aufwuchs. Ich habe sogar den Eindruck, man muß in irgendeinem Verein formand sein, um überhaupt zum Dorf zu gehören :mrgreen: ). Mit der Kommunalreform ist jetzt auf Langeland leider eine Diskussion darüber entbrannt, wie viele der 8 Schulen der Insel geschlossen werden - aktueller Stand: mindestens drei in 2008, wahrscheinlich fünf bis 2010. Ursel hat ja schon auf die Bedeutung der Schulen für das Dorfleben hingewiesen: da hängt i.d.R. der Kindergarten dran, SFO, Räume für Vereine, in Lohals auch noch die Bibliothek. Wenn das alles weggespart wird (werden muss?), bleiben auf den Inseln und in den kleinen Dörfern nur Rentner und Touristen. Aber auch die Dänen stellen inzwischen öffentlich in Frage, ob der allgemeine Wohlstand des Landes jetzt nicht auch der Geographie Rechnung tragen kann.

Fazit: die Veränderungen die du, Fabula, siehst, sehe ich auch - aber ich sehe auch, daß damit nichts zu Ende ist. Die Dinge entwickeln sich weiter - und je teurer die Lebenshaltungskosten in den Ballungsgebieten, desto interessanter werden wieder die Dörfer und Inseln. Je teurer die Gewerbegrundstücke in zentraler Lage, desto eher rechnet es sich für Firmen, weiter raus zu gehen. Das ist alles im Fluss und zumindest für Langeland kann ich sagen, daß ich vor vier Jahren doch das richtige getan habe - denn dort geht es, unterm Strich, stetig aufwärts.

Liebe Grüße
Nullermand
Ingrid A.
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Beitrag von Ingrid A. »

Das war ein ganz interessanter Bericht, Nullermand.

Wir hatten uns auf Langeland zwar mit einigen Leuten unterhalten (wir hatten Urlaub in der Nähe von Bagenkop gemacht), aber da war halt nur die Rede von der Fähre Kiel-Bagenkop und den Folgen. Man hatte uns auch erzählt, dass die Fähre sogar privat nochmals ins Leben gerufen worden war, aber das scheint nicht ganz geklappt zu haben.
Solche "interna" wie du sie geschildert hast, erfährt man als Tourist natürlich nicht. Wir mühen uns zwar immer ab, auch mal dänische Zeitungen zu lesen, aber ich glaube, so ganz reichen unsere Kenntnisse halt doch nicht aus.

Was mich halt noch interessieren würde: Bemüht sich eigentlich der dänische Staat nicht darum, die kleinen Inseln zu erhalten? Es kann doch nicht im Interesse des Staates liegen, solche Inseln quasi "lahmzulegen", oder was ist der Sinn? Schlimm wäre es, wenn es einzig und allein am Desinteresse liegen sollte. :(
CAY
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Beitrag von CAY »

Hallo alle miteinander!

Aus eigener Erfahrung kann ich nur von „meiner“ Insel Årø sprechen, auf der ich seit ca. 40 Jahren meinen Urlaub bzw. früher meine Ferien verbracht habe. Auch dort trifft es zu, daß die Insel überaltert und vereinsamt – die jungen Leute (damals Kinder in meinem Alter, und heute auch deren Nachwuchs) verließen die Insel, arbeiteten auf dem Festland, kehrten zum Teil zurück, um eine sich verändernde Heimat vorzufinden – veränderte Fischereibestimmungen ließen das gewohnte Leben nicht mehr zu, es brachte nicht genug ein. Landwirte waren ebenfalls betroffen – ihre Erzeugnisse mußten und müssen auf das Festland geschafft werden, Preise wie früher sind nicht zu erzielen, während der Lebensunterhalt keineswegs billiger wird. Also sind sie wieder gegangen – um nicht noch einmal zurückzukehren. Manch eine/r hat das eigene Haus behalten, um es als Sommerhaus zu nutzen oder zu vermieten, die meisten haben verkauft. Die Alten sind verstorben, das Hof und Land liegen brach, Nachfolger gibt es keine aus den genannten Gründen.

Erschwerend ist hinzugekommen, daß die Insel renaturiert worden ist in den letzten Jahren, somit ist wieder Acker- und Weideland weggefallen. Stadt jeder Menge von Milchkühen stehen einige wenige Galloways auf den Weiden, die dem Naturschutz dienen, für den Eigenbedarf Fleisch liefern und ansonsten fast ganzjährig draußen bleiben.
Aus der einstigen Bauern – und Fischerinsel ist ein Naturschutzgebiet entstanden – keine ausreichende Möglichkeit mehr zum Geldverdienen.

Einen Kaufmannsladen gibt es schon lange nicht mehr, ein einziges Restaurant läuft – wenn überhaupt – nur in der Hauptsaison mäßig. Ich kenne es eher ganzjährig geschlossen. Amüsement für junge Menschen gibt es keins, alle sind auf die Fähre angewiesen, um auf das Festland zu kommen. Einen Arzt hat es nie gegeben auf der Insel.

Die Zeit scheint dort immer noch ein wenig stillzustehen. Es gibt zwar DVD – Player, aber keinen Internetanschluß. Eine Mobilfunkantenne wurde erst vor zwei Jahren am Leuchtturm installiert.

Was ich einerseits mit Wehmut zur Kenntnis nehme, jedesmal wenn ich wieder dort bin, genieße ich andererseits als Ruhe- und Naturliebhaberin.

In den späten 70ern bot ein befreundeter Bauer mir an, ein landwirtschaftliches Jahr bei ihm und seiner Familie zu verbringen. Ich lehnte ab – es wäre mir vom Herbst bis zum Frühling zu trist und zu langweilig gewesen. Zwar liebe ich die Großstadt nicht, aber ich kann die Insulaner doch verstehen, die lieber mehr Nähe zu anderen Menschen und zu mehr Selbstverständlichkeit haben.
LG, C.A.Y.
jordtfan

Beitrag von jordtfan »

Hej Leute,

ein sehr interessantes Thema, was ihr da diskutiert; leider fehlt mir nach wie vor die Zeit, mich mehr hier im Forum zu tummeln :)

Also ich sehe das so, daß es in DK mehr junge Leute gibt, als in Deutschland, und die Dänen sind doch eher Menschen, die in den Städten leben (86%), schon wegen der Arbeit und dem Ganzen. Ich finde es auch sehr schade, daß die Inseln aber auch die Dörfer langsam aussterben, aber verstehen kann ich es nur zu gut.
Welcher junge Mensch, der studieren will, oder einen gut bezahlten Job haben will findet denn auf einer Insel noch arbeit??
Den Dörfern rund um den Ballungszentren, mit guter Verkehrsanbindung, denen geht es gut, aber die abgelegenen Ortschaften und Inseln werden wohl auch in Zukunft immer mehr Einwohner verlieren.

In Deutschland ist das aber ähnlich, auch hier werden abgelegene Ortschaften und Inseln zunehmends verfallen.

Gruß
Andreas
Nullermand
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Registriert: 11.09.2006, 21:35
Wohnort: Hamburg/Lohals

Beitrag von Nullermand »

Hej Fabula und alle,

das mit der Wiederaufnahme der Fähre Kiel-Bagenkop war in dem Jahr, nachdem wir das Haus gekauft hatten. Wir haben uns damals riesig gefreut. Aber mit einer Fahrzeit von fast drei Stunden auf einem schlecht ausgestatteten Schiff konnte das nicht lange gutgehen. Von dänischer Seite hatte man alles daran gesetzt, die Dänen für Einkaufsfahrten nach DE zu begeistern - aber leider ohne Erfolg. Viele Langeländer haben damals Aktien der Fähre gekauft - und nach einem Jahr war das Ganze wieder vorbei.

Du fragst, was der dänische Staat tut um den Inseln und abgelegenen Dörfern zu helfen. Gegenfrage: was kann der Staat denn tun? Die wichtigsten Entscheidungen für die jeweilige Region liegen wohl bei den Kommunen - Bebauungspläne, soziale Einrichtungen, Bildungs- und Kulturangebot etc. Der Staat kann ja die fehlenden Arbeitsplätze nicht einfach beschaffen, oder Firmen in die Einöde zwangsumsiedeln. Er kann für gute Strassen- und Bahnanbindung sorgen, aber mehr fällt mir da im Augenblick nicht ein. Es nützt ja nix, Geld über einer Insel abzuwerfen, auf der die meisten Dänen nicht leben möchten und wo Firmen aufgrund der Transportwege Wettbewerbsnachteile haben. Aber wie gesagt: so schwarz sehe ich das Ganze nicht. Wo viele ältere Menschen gern leben gibt es immer auch Arbeit im sozialen Bereich und damit doch wieder Jobs für jüngere Menschen, die dann wiederum Kinder bekommen. Und die Technik schafft mehr und mehr Unabhängkeit vom Arbeitsplatz, Stichwort homeoffice.

Bei solchen Mini-Inseln wie Årø ist es natürlich besonders schwierig, aber auch dort sehe ich nicht, was der Staat noch tun sollte. Die Fährverbindung ist sicherlich bereits staatlich subventioniert und würde sich allein wohl gar nicht tragen. Internet wird es wohl inzwischen geben (zumindest haben touristische Einrichtungen auf der Insel eigene Homepages - also denke ich, die haben auch einen Zugang zum Netz) Mit der Renaturierung hat man m.E. das richtige getan und das Land, das der Mensch nicht mehr braucht, der Natur zurückgegeben. Jetzt könnte man höchstens noch eine Brücke bauen, damit sich auf der Insel auch Gewerbe ansiedeln kann, aber wollen die Menschen auf Årø das wirklich....? In unserer immer hektischer werdenden Zeit gibt es sicher auch eine Zielgruppe für das abgeschiedene Leben in Ruhe und schöner Natur. Von Strynø (gehört zu Langeland Kommune, ähnliche Größe wie Årø) lese und höre ich keine Klagen - aber das heisst wohl nichts. Jedenfalls darf Strynø auch nach der Kommunalreform seine Schule behalten - für die 14 Kinder auf der Insel - das hört sich für mich nicht so an, als wenn man da aus Desinteresse etwas sterben läßt.

Nullermand,
wie immer positiv denkend und an das Gute glaubend :D
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