Pisa-Studie

Sonstiges. Dänemarkbezogene Themen, die in keine andere Kategorie passen.
MichaelD
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Beitrag von MichaelD »

Ja, ich glaube auch nicht, dass wir so weit voneiander entfernt sind.

Ich meine aber, das Thema Tests und Prüfungen ist weiter aufzudröseln. Du setzt standardisierte Tests mit systematischen Tests und mit Tests überhaupt gleich. Der Ausgangspunkt in DK ist der, dass viele Lehrer ihre Schüler so wenig testen wie überhaupt zulässig - und zulässig ist so einiges.
Was man in Finnland ausgiebig tut, ist klassenspezifische Tests durchführen, damit der Lehrer weiss, was ihm geglückt ist. Das ist etwas ganz anderes als die Schüler mit jährlichen Zentraltests zu konfrontieren. Letzteres setzt eine klare, detallierte Zielbeschreibung durch das Ministerium voraus. Ja, genau genommen ist eine hochgradige Standardisierung der Unterrichtsinhalte vorausgesetzt. Dagegen gibt es natürlich Widerstand aus zahlreichen Gründen.

Die standardisierten, landesweiten Tests haben primär das Ziel, die Qualität von Schulen (und Lehrern) vergleichbar zu machen. Dazu können sie einen gewissen Beitrag leisten. Aber allzu viele Tests braucht man hierfür nicht.

Aber die weitverbreitete totale Ablehnung von Tests in DK ist ebenfalls ein Extrem. Es mag sein, dass die Unterlassung den Schülern Ängste erspart. Dafür lässt sie aber allen Unterricht als gleichgültig erscheinen und beseitigt jeden Respekt vor dem Lehrer.

Ich halte es für illusorisch zu glauben, dass die notwendigen Lernanreize allein aus Unterhaltungswert und Zuckerbrot bestehen können. Den Schüler können nicht erkennen, dass sie mit ihrer eigenen Zukunft spielen. Schon gar nicht, wenn sie nicht wissen, wo sie stehen.
Grüsse
Michael
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Lars J. Helbo
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Beitrag von Lars J. Helbo »

Es hat natürlich eine Menge mit Grundhaltungen zu tun.

Ich denke, daß der gute Lehrer allein aus der Unterricht seine Schüler kennt, und daher im Regelfall eigentlich keine Tests braucht. Sollte er sie mal brauchen, steht es ihm ja jeder Zeit frei einen Test durchzuführen. Das hat dann der Vorteil, daß er sie dann durchführen kann, wenn er sie braucht und in der Form, der zu seine Klasse past.

Ich gebe zu, daß nicht alle Lehrer gut sind. Die Unfähigkeit einige Lehrer kann aber nicht mit zentrale Richtlinien kompenziert werden. Solche Richtlinien können aber die gute Lehrer behindern und ihre Motivation zerstören.

Mir geht es aucht nicht um Unterhaltungswert oder Zuckerbrot - mir geht es um Herausforderungen für die Schüler. Ich bin der Meinung, daß Disziplin-Probleme in aller Regel aus Langeweile entstehen. Wenn in der Klasse Unruhe herscht, ist die Ursache nach meiner Meinung in aller Regel ene Langweilige Unterricht - nicht bösartige Kinder. Zucht und Ordnung ist aber kein gutes Mittel gegen Langeweile.

Ich gebe zu, daß zentralisierte Tests für den Vergleich von Schulen und Lehrern benutzt werden kann. Ich halte davon aber nichts. Ich halte dagegen viel von einer Vielfalt im Unterricht und eine Stärkung der freien Schulwahl. Zentralisierte Tests führen nämlich zu zentralisierte Lösungen.
Vor drei Jahren nach der erste Pisa-Untersuchung wurde vorgeschrieben die Zahl der Dänisch-Stunden zu erhöhen. Letzte Jahr ist jemanden im Ministerium dann darauf gekommen, das Turnen wichtig ist, und daher wurde die vorgeschriebene Stundenzahl in diesem fach erhöht. Das ist gut und schön. Jedesmal, wenn die Stundenzahl irgend eines faches erhöht wird, muß aber woanders gestrichen werden. Gleichzeitig wird der Gestaltungsspielraum der Schulen verringert, alle Schulen werden gleicher.

Dazu kommt, daß die Verantwortlichen "versuchen von den guten zu lernen". Nach jeder Test werden sie versuchen Sachen aus den "besten" Schulen zu kopieren. Das führt ebenfalls zu einer weiteren Gleichschaltung aller Schulen.

Die Kinder sind aber nicht gleich. Für manche Kinder war die extra Dänisch-Stunde bestimmt wichtig. Für andere wäre die dadurch verlorene Musik-Stunde aber viel wichtiger gewesen.

Ich denke man sollte viel lieber eine Vielfalt erlauben. Dann könnten wir als Eltern die Schule mit der Unterricht wählen, die am besten für unser Kind paßt. Wenn die Schule eine größere Gestaltungsspielraum hat, können die Eltern auch besser den Unterricht mit beeinflussen. Und sollte die Qualität einer Schule zu schlecht sein - wo ist das Problem? Die Schule wird doch sehr schnell ohne Kinder stehen. Das ist doch alles ganz einfach. Christen Kold hat das schon vor 150 Jahren herausgefunden und bei den freien Schulen funktioniert das - also, wozu brauchen wir diesen Anglo-Amerikanischen Manager-Mist?
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MichaelD
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Beitrag von MichaelD »

Der "Managermist" kommt deshalb auf, weil die Erfahrung vieler Eltern mit den Schulen ihrer Kinder negativ ist, weil Lehrer mit ihren Leitungen unzufrieden sind, weil Politiker erleben, dass Extramittel und Regeländerungen ohne Effekte zu sein scheinen. Wie überall sonst auch, ist Vertrauen gut, Kontrolle aber besser. Die Probleme werden nicht besser dadurch, dass sich die kleinen "Kunden" nicht wehren können.

Es wundert etwas, dass du lhjelbo einerseits gegen Messungen antrittst, andererseits mit der Vorstellung kommst, Wettbewerb unter Schulen um Schüler könnte die Probleme lösen.

Denn zum einen gibt es dafür keine Indizien: Es gibt heute vielerorts ja eine gewisse Konkurrenz zwischen der einen öffentlichen Schule im Viertel und einzelnen Privatschulen, besonders in DK. (Dass ich nur von einer gewissen Konkurrenz spreche liegt daran, dass der familiäre Alltag, Transportwege und Schulgeld Privatschulen für viele ausschliessen.) Man sollte also annehmen, dass zumindest bei existierenden Privatschulen in der Nähe die Konkurrenz dazu führt, dass die "schlechten" Schulen schliessen oder unter starkem Anpassungsdruck stehen. Hast du aber schon mal gesehen, dass der öffentlichen Schule die Schüler ausgehen? Nein, gell. Die typische Privatschule betreibt nämlich Creaming - Familien aus besseren Verhältnissen sind stark überrepräsentiert. Und die schwachen Schüler werden systematisch ausgeschlossen, es sei denn, die Eltern stellen die grossen Schecks aus. Interessanterweise zeigt sich - zumindest für D, dass Privatschulen keineswegs besser abschneiden als öffentliche Schulen, wenn die Schülerergebnisse um sozioökonomische Faktoren bereinigt werden! (Das hat Pisa für die untersuchten Fragen dokumentiert.) Damit kann man das Fazit ziehen, dass Privatschulen eine Variante der Schulzweigtrennung einführen - ab der ersten Klasse wohlgemerkt. Zur Förderung der Schüler tragen sie NICHT bei. (Wenn also die Prüfungsinhalte von Pisa Massstab sind - über andere Unterrichtsinhalte können wir nur spekulieren.)

Zum anderen ist natürlich zu fragen, wie Eltern gute Schulen identifizieren sollen, wenn es keine Messungen gibt. Dann werden diejenigen Schulen als gut identifiziert, die das beste Marketing betreiben.

Ich halte es genau für den Sinn von Pisa und für genau richtig, "von den Besten zu lernen". Ob das zu unerträglicher Vereinheitlichung führt, hängt davon ab, was die Besten tun.

Noch ein Wort zum langweiligen Unterricht: Nach dem Massstab von Kindern ist der meiste Unterricht langweilig. Denn Langweile ist ein relativer Begriff: Ist sonst alles Action, wirkt auch der beste Unterricht langweilig. Wenn der Unterricht nicht auch mal langweilig sein darf, lernen Kinder nie, an längerfristigen Zielen zu arbeiten. Und wenn sie arbeiten sollen, obwohl es mal kein Thriller ist, dann braucht der Lehrer eben Respekt.

Der Gedanke, Respekt habe etwas mit Strammstehen und Rohrstock zu tun, liegt mir völlig fern.

Bearbeitet von - MichaelD am 20.12.2004 12:39:19
Grüsse
Michael
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Lars J. Helbo
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Beitrag von Lars J. Helbo »

Die Konkurrenz ist leider oft sehr begrentzt. In unsere Gemeinde gibt es z.B. 3 öffentliche und 1 frei Schule. Die frei Schule hat aber eine sehr lange Warteliste. Wer nicht gleich nach der Geburt dort angemeldet wurde, hat keine Chance. Von den drei öffentlichen Schulen geht die eine nur bis zur 7. Klasse. Für Schüler in der 8-10 Klasse stehen also nur 2 Schulen zur Auswahl und die Gemeinde bemüht sich so gut es geht, diese beiden Schulen so ähnlich wie möglich zu machen. Von Konkurrenz kann also keine Rede sein. Man kann nur hoffen, daß es ab August besser wird, wenn wir die freie Schullwahl über Gemeindegrenzen hinweg bekommen.

Für mich sind "Privatschulen" und "Freie Schulen" zwei sehr verschiedene Sachen. In DK sind die nicht-öffentlichen Schulen extrem unterschiedlich und man kann gar nicht von der "typische" nicht-öffentliche Schule sprechen.

Der einzige gemeinsame Nenner wird sein, daß die Eltern sich für die Schule ihre Kinder interessieren und eine bewuste Wahl getroffen haben. In D ist das bestimmt anders, wir haben ja hier ein Punkt, wo der Unterschied zwischen unsere beiden Länder kaum größer sein könnte.

Es ist natürlich nicht einfach als Eltern eine "gute" Schule su identifizieren. Die Pisa-Studie hilft mir dabei aber mit Sicherheit nicht. Die Listen mit durchschnittlichen Prüfungsergebnissen, die jetzt hier veröffentlicht werden bringen auch nichts. Das kann ja von Klasse zu Klasse oder von Jahr zu Jahr ganz anders sein - also sagen die Zahlen nichts.

Man muß aber auch erst überlegen, was eine "gute" Schule ist. Für mich geht es nicht darum eine Schule zu finden, wo mein Kind mit dem best möglichen Examensdurchscnitt am Ende herauskommen wird.

Eine "gute" Schule ist für mich eine Schule mit ein interessante Lehrplan und ein ansprechendes pädagogisches Konzept. Beide sollten dabei zu mein Kind passen. Ich bin nämlich der Meinung, daß Kinder unterschiedlich sind. Ein Lehrplan, der zu ein Kind paßt kann für ein anderes unmöglich sein.

Davon leben die freie Schulen in DK. Sie bieten ganz unterschiedliche Lehrpläne und pädagogische Konzepte - und die engagierte Eltern stehen deswegen Schlange an diese Schulen. Warum können die öffentliche Schulen nicht davon lernen? Warum müssen sie alle den selben staatlich verordneten und Pisa-geprüften Einheitsbrei anbieten?

Wenn eine Gemeinde wie unsere drei öffentliche Schulen hat, dann wünschte ich mir z.B. daß jede Schule ein Schwerpunkt wählen könnte. Das könnte z.B. Musik, IT oder Sport sein. Wenn der Schwerpunkt Musik wäre, dann könnte das z.B. bedeuten, daß alle Schüler auf diese Schule 5 oder 6 Stunden Musik/Woche haben sollte, und das alle Schüler ein Instrument spielen sollte. Das würde natürlich bedeuten, daß die Zahl von Dänisch- oder Mathe-Stunden entsprechend reduziert werden müßten. Es könnte auch um ein pädagogisches Konzept gehen, z.B. Jahrgangsübergreifende oder Geschlechtsgetrennte Unterricht gehen.

Dann könnten wir als Eltern eine Wahl treffen. Wir wären nicht von irgendwelche Prüfungen abhängig, sondern könnte die Unterricht wählen, die für unser Kind der bessere ist. Weil wir kennen ja unsere Kinder.
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bwvmtroe

Beitrag von bwvmtroe »

Hallo PISA-Freunde,

eigentlich wollte ich schon lange meine Meinung als Pauker mit 30jähriger Berufspraxis zu diesem Thema schreiben. Aber nun habe ich meine verlegte FAZ vom 08.12.2004 wiedergefunden. Der Artikel dort beschreibt sehr gut die Situation.

Zu finden unter:www.faz.net dann "Aktuell","Kirche und Bildung".

Im übrigen halte ich es mit Winston Churchill:
"Ich glaube keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe!"

Oder mit den Politikern in Gemeinden und Kreisen:
"Ein neues Gewerbegebiet zu erschliessen, ist eine Investition in die Zukunft; die Renovierung der Schulen sind unnötige Kosten!"

Friedliche Weihnachten und ein gutes Jahr 2005,

Wolfgang


PS. Frau Hohlmeier fehlen 800 Lehrerinnen/Lehrer(Spiegel 52). Dabei ist dieser Beruf doch so toll ("Freizeitweltmeister", "faule Säcke").
MichaelD
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Beitrag von MichaelD »

Ich habe alle gratis Artikel im Faz.net gelesen, einen datiert 8.12. fand ich leider nicht.

Die Qualität der Aufsätze ist ziemlich unterschiedlich. Richtig gut fand ich keinen. Einige Denkanstösse gibt der von Jürgen Kaube, "Der grosse Strukturschwindel", wenn man die längliche Einleitung über die "Abschaffung der Familie" überliest. (Untertöne einer Drohung!) Er hebt die Probleme am unteren Rand angemessen hervor, gelangt aber leider nicht zu Lösungsvorschlägen, ausser "Aufmerksamkeit".

Hanebüchen schliesslich ist der von Heike Schmoll: "Die Einheitsschule bis Klasse 7 hilft leistungsschwachen Kindern nicht." Lest den ideologisierenden Unsinn selber! Schon das Wort "Einheitsschule" signalisiert, wes Geistes Kind sie ist.

Bei der Grundhaltung der FAZ müssen die Schreiberlinge wahrscheinlich schon recht mutig sein, wenn sie wie Kaube Modellversuche mit Gemeinschaftsschulen vorschlagen, oder wie Schmoll in einem anderen Aufsatz daran erinnern, dass für Kinder aus Risikofamilien in Schweden teilweise Kindergartenpflicht ab 2 Jahren gilt.

@ljhelbo:
Was ist den konkret der Unterschied zwischen Privat- und "freien" Schulen?
Grüsse
Michael
Ursel
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Beitrag von Ursel »

Hej Michael!
Vielleicht beleuchtet die neuerliche Diskussion um Friskoler Deine letzte Frage nach dem Unterschied zwischen Friskoler und kommunalen/staatlichen Schulen?

Nur 1 Artikel von vielen in Kristeligt Dagbald heute:

http://www.kristeligt-dagblad.dk/artikel:aid=239313

Meine Grüße wehen heute mit Orkanstärke an alle hier - Ursel, DK
""Den virkelige opdagelsesrejse går ikke ud på at finde nye lande,
men at se med nye øjne."

---------------------------------------------------------Marcel Proust
...
MichaelD
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Beitrag von MichaelD »

Hallo Ursel.
Ich fragte nach dem Unterschied zwischen Privat- und "freien" Schulen. Ich bin nicht klüger geworden!
Gruss Michael
Grüsse
Michael
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