Die Wahl in Deutschland: Diskussionen im deutschen Fernsehen

Sonstiges. Dänemarkbezogene Themen, die in keine andere Kategorie passen.
Berndt

Die Wahl in Deutschland: Diskussionen im deutschen Fernsehen

Beitrag von Berndt »

Ich glaube nicht, daß ich der einzige bin, dem eine Podiumdiskussion im deutschen Fernsehen manchmal ziemlich unstrukturiert vorkommt.

Es gibt ja derzeit täglich Programme, wo man sich mit der bevorstehenden Wahl in D. beschäftigt. In dem Zusammenhang ist es mir in der letzten Zeit aufgefallen, daß der Moderator ständig zuläßt, daß alle Teilnehmer durcheinander reden, so daß man, jedenfalls als Ausländer, oft fast kein Wort versteht.

Heute Abend gab es das Programm: ”Wahl Check 05”, wo der Moderator Frank Plasberg (als sich die Diskussion zu einem Gackern - wie im Hühnerhof – entwickelte) ungefähr so sagte: Leider habe ich hier keine Kompetenz”. - Weiß jemand, was er wohl damit meinte?

In DK ist es üblich, jeden Redner Ausreden zu lassen. Wenn er/sie von einem anderen Teilnehmer trotzdem unterbrochen wird, greift der Moderator normal sofort ein. Und es ist üblich, jedem Redner eine gewisse Redezeit zuzuteilen, wo er die Möglichkeit hat, möglichst viel zu sagen, ohne unterbrochen zu werden.

Warum werden die Wahlsendungen nicht in einer zivilisierteren Form moderiert, so dass die Aussagen von den Zuschauern besser verstanden werden? – Hat der Moderator wirklich nicht diese Kompetenz?
Hoffentlich hat jemand eine gute Antwort :!:

Berndt.
reimund1012

Beitrag von reimund1012 »

Hej Berndt,

isch denke Deine Meinung wird von jedem Deutschen (der keine Parteibrille aufhat) geteilt.

Bei uns ist es wohl traditionell so, dass Politiker allesamt große Selbstdarsteller sind, die sich für das Mass aller Dinge halten.
Egal was der politische Gegner auch an überzeugenden Argumenten vorbringen mag, es wird sofort schlechtgeredet.
Oder man lässt seinen Kontrahenten einfach nicht zu Wort kommen indem man dazwischenquatscht.

Typisch deutsche Politik eben !

Ich denke der Grund warum es Dänemark relativ gut geht, ist darin zu suchen, dass letztendlich alle dänischen Politiker doch alle nationalbewußt denken.
Da wird eben getan was für das Land gut ist, und nicht alles aus parteipolitischem Starrsinn pauschal blockiert.

Glückliches Dänemark.
Hilsen
Reimund
MichaelD
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Beitrag von MichaelD »

Hallo Berndt,

ich habe die Sendung auch gesehen, und gebe Dir recht, dass der Moderator die Diskutanten nicht im Griff hatte und teilweise mit unverständlichen Halbsätzen und merkwürdigen Bemerkungen zur Ruhe zu mahnen versuchte. Politiker wie Brüderle von der FDP verstanden das als Freibrief, anderen ständig reinzureden. Irgendwann wollten sich alle nur noch behaupten, und waren daher gezwungen, ununterbrochen zu reden. Lafontaine hielt sich als einziger konsequent zurück, wenn er nicht dran war.

Fairerweise muss man auch einräumen, dass mehrere konsequent provozierten. Als die Privilegien aufkamen (Kassenärztliche Vereinigung, Handwerksordnung, Nachtschichtzulage, Architektenhonorare, Apothekerordnung usw.), kämpften alle für ihre Klientel, und die Tonlage war schrill.

Darüber hinaus litt der gezeigte Diskussionsstil daran, dass nur noch 3 Tage bis zur Wahl waren. Insbesondere der Repräsentant der CSU versuchte wiederholt, die Themen durch vage Wahlkampfreden (Verweis auf die allgemeine Wirtschaftspolitik) zu umgehen.

Trotzdem meine ich, dass die Politiker sich relativ stark an die Themen hielten und dass sie aufeinander eingingen. Besser das, als aufgereihte Wahlkampfreden, die aneinander vorbeigehen. Dieses Phänomen kennt man in beiden Ländern!

Ob diese Diskussion typisch ist für deutsche Politik, bin ich nicht so sicher. Aber bei den medieninszenierten Diskussionen sieht man das schon oft.

Gruss Michael
Bruno

Beitrag von Bruno »

reimund1012 hat geschrieben: Bei uns ist es wohl traditionell so, dass Politiker allesamt große Selbstdarsteller sind, die sich für das Mass aller Dinge halten.
Dem kommt ja auch entgegen, dass ein Fernsehduell von vier (!) Sendern übertragen wird. Ich dachte, mich trifft der Schlag, als ich das gesehen habe.

Mich interessiert die deutsche Wahl ja auch, vor allem, da meine Frau aus D kommt und ich auch einige Jahre in Hannover verbracht habe. Aber das war für mich doch etwas overkill :roll:

gruss
bruno
Martin Hofer

Beitrag von Martin Hofer »

Die Weise, wie die deutschen Politiker miteinander umgehen, ist ein ständiges Ärgernis. Seit einer Weile ist es üblich geworden, sich gegenseitig beinahe täglich Lüge, völlige Unfähigkeit, schlechten Charakter und üble Absichten zu unterstellen. Ich bin ja wirklich ein politisch interessierter Mensch, aber ich sehe mir keine Diskussionsrunden mit Politikern mehr an. Selbst wenn nur einer da ist, ihm also keiner ins Wort fallen kann, ist der Tonfall gegen die abwesenden Kollegen meist unerträglich.

Auf der Rückfahrt aus DK habe ich mir auf der Fähre von meinen letzten Kronen-Münzen eine Berlingske gekauft. Vielleicht war das ja ein Einzelfall, aber ich war jedenfalls erstaunt, wie gleich in mehreren Artikeln über Vorschläge einer Partei berichtet wurde -- und darüber, wie die Politiker anderen Parteien erst einmal das erwähnten, was ihnen an diesem Vorschlag gefällt. Hierzulande würde man erst einmal die kontroversen Teile in der Luft zerreissen und (vielleicht) später anmerken, dass der Rest immerhin ein Schritt in die richtige Richtung sein könnte.

Warum die Sendungen nicht besser moderiert werden? Weil sich diese Formate leider besser verkaufen, denke ich. Wer sich vormittags auf SAT1, RTL2, PRO7 & Co. Sendungen ansieht, in denen sich Proleten in Talkshows, Big-Brother-Containern und in Pseudo-Gerichtsshows anschreien, sieht vielleicht auch gerne pöbelnde Politiker. Nach der Menge dieser Sendungen zu schließen muss diese Zielgruppe recht groß sein. (Und es ist manchmal schon schwer zu akzeptieren, dass die alle mitwählen dürfen ;) )

-- Martin
Ursel
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Beitrag von Ursel »

Hej Martin!
DAS habe ich bei Berndts Frage auch sofort gedacht:

"Wer sich vormittags auf SAT1, RTL2, PRO7 & Co. Sendungen ansieht, in denen sich Proleten in Talkshows, Big-Brother-Containern und in Pseudo-Gerichtsshows anschreien, sieht vielleicht auch gerne pöbelnde Politiker. Nach der Menge dieser Sendungen zu schließen muss diese Zielgruppe recht groß sein. "

Das ist anscheinend gerade modern im deutschen Fernsehen, also machen alle mit, leider.
(Herr Fischer stieß mir leider diesbezüglich am Sonntag bei S. Christiansen auch sehr unangenehm auf! )
Man fragt sich: Haben die das nötig?

Wer schreit, hat keine Argumente, und "leere Fässer klingen hohl.
Tja, da mache sich jeder seinen Reim drauf.

Statt Politik Talkshow oder Real-shows oderwie die heißen auf niedrigstem Niveau naja, kein Wunder, wenn es Politikverdrossenheit gibt... die sieht man nirgends mehr, die Politik!

Enttäuschte Grüße - Ursel, DK
ditmar

Beitrag von ditmar »

Hallo an alle ,
warum fordern wir nicht alle gemeinsam ( egal wen wir wählen) die sogenannten Politiker auf (statt sich der Lüge zu bezichtigen,sich gegenseitigt in's Wort zufallen) , die Karre aus dem Dreck zu ziehen.
Auch wenn es uns allen wahrscheinlich weh tut.
Hilsen Ditmar
Erdnuckel

Beitrag von Erdnuckel »

Wer schreit, hat keine Argumente, und "leere Fässer klingen hohl.
Ich habe festgstellt,das das nicht nur bei den Politikern ist.
Es ist mittlerweile hier in D üblich so miteinander umzugehen. :!: :!:
Da wird eben getan was für das Land gut ist, und nicht alles aus parteipolitischem Starrsinn pauschal blockiert.

Glückliches Dänemark.
Das denke ich sehr oft:Glückliches Dänemark!!! :mrgreen: :mrgreen:

Ich finde das immer Mist,das gerade dann,wenn die Wahlen stattfinden soviel Werbung :x dafür gemacht wird,man kann sich ja eh sein Bild die Jahre über machen,ob sie was gut machen,oder nicht.Bei mir wird sich nun ja nichts ändern,nur weil vielleicht ein Politiker (gerade jetzt in der Werbung)wieder was verspricht,was er sowieso nicht hält.Deshalb guck ich mir diesen Blödsinn erst gar nicht an.
:wink:
Martin Hofer

Beitrag von Martin Hofer »

Es ist leider eine ganz einfache Rechnung: Die Sender bringen die Sendungen, die viel Quote bringen, denn hohe Quote bedeutet höhere Werbeeinnahmen. Dass es viele solche Sendungen gibt, bedeutet also, dass viele Leute das sehen wollen. Und weil die politischen Sendungen so sind, müssen auch normalerweise zurückhaltende Politiker lauter und polemischer werden, sonst gehen sie in der Sendung unter oder werden gar nicht mehr eingeladen -- und bekommen dadurch weniger Stimmen. Deshalb legen die Parteien bei ihren Kandidaten auch zunehmend Wert auf eine hohe Medienwirkung -- also auch die Fähigkeit und Bereitschaft, laut oder unter der Gürtellinie zu poltern.

Dass das in Dänemark anscheinend nicht so geschieht, liegt vielleich weniger an nationalen Gefühlen, sondern an der generellen skandinavischen Art, Differenzen und Gejammer weniger ausgiebig auszubreiten.

-- Martin
Ralf

Beitrag von Ralf »

Hi,

in der Tat schien mir Frank Plasberg gestern nicht in Hochform zu sein - aber ich muß ihn mal in Schutz nehmen.

Frank Plasberg ist sicherlich der Beste Moderator der diese Politikermeute im Zaum halten kann.

Ich verweise auf seine mittwöchliche Sendung Hart aber fair im WDR.

Man muß schon sagen, daß die Politiker vor Plasberg kuschen.

In den letzten Tagen nimmt man aber insgesamt eine Verohung der Sitten in den Diskussionen wahr - die Nerven halt...!

Ich könnte mir vorstellen, daß ein Plasberg sich nur noch wundert.

Hoffen wir mal, daß ab Monat Ruhe ist in diesem Land, habe jedoch so meine Zweifel.

Hilsen
Ralf
Ursel
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Beitrag von Ursel »

Hej Martin!
da triffst Du irgendwie wieder einen guten Punkt:
"Dass das in Dänemark anscheinend nicht so geschieht, liegt vielleich weniger an nationalen Gefühlen, sondern an der generellen skandinavischen Art, Differenzen und Gejammer weniger ausgiebig auszubreiten. "

Wer vorher schon nicht 4 Jahre lang gejammert und geklagt und an-geklagt hat, der muß das im Wahlkampf eben nicht ganz so laut wie in Dtld. tun, denn natürilch muß an in Dtld. die 4 Jahre Anmeckern gerade im Wahlkampf noch toppen.

Abgesehen davon gibt es natürlich auch schlichte Menthalitätsunterschiede, :) , die sich hier dann mal positiv auswirken, :)

Gruß aus DK, Ursel, die sich oft wundert, wieso die Dänen von sich glauben, sie seien das Volk, das sich furchtbar viel beschwert und beklagt und jammert und "brokk"... (da kann ich sie ruhigen Gewissens mit Hinblick auf mein Herkunftsland beruhigen!)
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Lars J. Helbo
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Beitrag von Lars J. Helbo »

Martin Hofer hat geschrieben:.... liegt vielleich weniger an nationalen Gefühlen, sondern an der generellen skandinavischen Art, Differenzen und Gejammer weniger ausgiebig auszubreiten.
Gegen solche Vermutungen bin ich generel skeptisch :wink:

Falls es ein Unterschied gibt, dann denke ich eher, daß es ein Unterschied im politischen System ist. In DK haben wir normalerweise keine absoluten Mehrheiten. Deshalb müssen die Politiker sich gegenseitig einigermasen ordentlich behandeln, weil sie nie wissen, wann sie mit den anderen zusammen arbeiten müssen.

Poul Nyrups Bemerkung, daß DF "nicht stubenrein" sei, war deshalb sehr außergewöhnlich - und im Endeffekt nicht besonders klug. Normalerweise wird ein Dänischer Politiker niemals irgend welche Koalitionsmöglichkeiten ausschliessen. Das heißt natürlich auch, daß man niemals einen anderen Politiker zu doll verärgern soll - es kann sich immer rächen.

Dann ist es bestimt auch ein Stück Jantelov: Wer sich selber zu doll promoviert und vordrängelt, der wird ja vermutlich glauben, daß er etwas besonderes ist. "Das mögen wir nicht".
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Martin Hofer

Beitrag von Martin Hofer »

Hej Lars,

in Bezug auf ebendieses Jantelov habe ich mal gelesen, dass man, wenn man in Dänemark (bzw. Schweden und Norwegen) gefragt wird: "Wie gehts?" schon einen sehr guten Grund haben sollte, nicht "Gut!" zu antworten. Und selbst wenn man einen guten Grund zum Jammern und Schimpfen hat, sollte man ihn nicht überstrapazieren, weil man sonst schnell recht einsam werden kann. An einer anderen Stelle las ich, dass Elternabende in Skandinavien sehr ermüdend sein können (NOCH ermüdender als hier? :shock: ), weil Konflikte und Kritik sehr ungern ausdiskutiert, sondern lieber mit einem "Det ordnar sig!" zugunsten der Harmonie beiseite geschoben werden.

Ob das stimmt, kann ich natürlich nicht aus eigener Erfahrung beurteilen. Vielleicht waren beides nur subjektive Einzelfallberichte, die zufällig in mein Bild passen.

Aber an Deinem Argument mit den Koalitionsmöglichkeiten ist sicher einiges dran. Da wünscht man ja fast der Linkspartei einen gewissen Erfolg ;) Reformunfähig ist Dänemark dadurch jedenfalls offensichtlich nicht geworden.

-- Martin
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Lars J. Helbo
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Beitrag von Lars J. Helbo »

Hallo Martin,

ja, ich denke da ist einiges dran. "Du sollst nicht glauben, daß Du was besonderes bist" - also sollst Du auch nicht glauben, daß Du besonders große Probleme hast bzw. Probleme die besondere Erwähnung verdienen.
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joe100
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Beitrag von joe100 »

Hej,

ich denke die Wurzel des übels liegt tatsächlich an dem Unterschied, dass es in Deutschland als selbstverständlich gilt eine Mehrheit dafür haben zu müssen, während es in Dänemark ausreicht keine Mehrheit dagegen zu haben.

Ergo versucht jeder deutsche Politiker für eine Mehrheit zu sorgen indem er sich und seine Partei übertrieben in den Vordergrund drängt.
Ohne Mehrheit keine Regierungsfähigkeit.

Der Schwur "zum Wohle des Deutschen Volkes" gerät dabei natürlich in den Hintergrund.

Vielleicht ist es auch die viel beschriebene "Arroganz der Macht".

Ebenso wie die aus diesen Gründen unerträglichen Umgangsformen, denen man als Zuhörer/Zuschauer/Wähler ausgesetzt ist, bemängel ich aber auch die Leistung der Moderatoren, ob nun Plasberg oder Christiansen oder andere.
Hier scheint mir doch auch eine recht einseitige politische Einstellung der Medien Neutralität nicht zu ermöglichen, ob nun aus freiem Ansinnen
der Moderatoren oder vom Sender vorgegeben.

Es wäre gut wenn wir alle mal ein bischen weniger dagegen sind. wir müssen ja nicht gleich dafür sein.

Hils
Dieter
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