Tvind in Dänemark

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El Hurg
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Tvind in Dänemark

Beitrag von El Hurg »

Hallo Leute,

ist einer von Euch auf seinen Reisen nach Dänemark oder irgendwie anderweitig schonmal mit Tvind in Berührung gekommen? Tvind ist eine skandinavische Organisation, der man den Charakter einer Sekte zuschreibt und die durch ihre dubiosen Geschäftsmethoden erst kürzlich wieder in den dänischen Medien war (siehe Ende des Wikipedia-Artikels).

Mir geht es darum, meine Mitmenschen über Tvind zu informieren - ich selber habe schon schlechte Erfahrungen gemacht.
Zur Einführung möchte ich Euch einen Text von wikipedia.de anbieten, für weitere Fragen stehe ich natürlich gerne bereit:

"Tvind ist der Name eines alternativen Schulsystems in Dänemark, dort auch Tvind Skolerne genannt.

Gegründet wurde diese Schule von einer Gruppe junger Menschen im Jahre 1973. Mehrere junge Lehrer begaben sich mit Kleinbussen auf eine Exkursion nach Indien, Afghanistan und anderen Ländern. Unter der Prämisse "Reisen und Lernen" gründeten sie somit das erste Schulprojekt, welches sich das "Notwendige Seminar" nannte und eine Ausbildung zum Lehrer als Ziel setzte. Im Vordergrund stand dabei Amdi Petersen, welcher maßgeblich dieses Projekt prägte.

Schnell wuchs dieses Projekt und man suchte einen Ort, um eine Schule zu errichten. Im nördlichen Jütland bei Ringkøbing wurde dann ein alter Bauernhof (Tvind Gaarden) gekauft, worauf sich dann auch der Name Tvind bezieht.

In Zeiten der Energiediskussionen der 70´ger starteten die damaligen Teilnehmer des Lehrerseminars das Projekt der Tvind-Mühle. Ziel war es, zu beweisen, dass mit Windenergie eine Alternative zu Atomkraft vorhanden war. Per Zeitungsannonce wurden dann Menschen gesucht, welche Lust hatten, die größte Windmühle der Welt zu bauen. 1976 wurde die Mühle fertig gestellt und war dann für einige Zeit tatsächlich die größte Windkraftanlage der Welt zur damaligen Zeit.

Gleichzeitig wuchs das Schulprojekt stetig an. Es wurde einePrivatschule (Friskole) und eine Nachschule (Efterskole) gegründet. Später kamen dann noch eine Realschule/Gymnasium hinzu.

Tvind erfreute sich damals großer Popularität, wenn auch nicht in Dänemark selbst, wo alternative Schulen (allgemein Efterskolerne genannt) a.G. der sehr liberalen Schulgesetze wie Pilze aus dem Boden schossen. Dennoch zog Tvind viele junge Menschen aus Skandinavien, England und auch Deutschland an. Ein besonderer Reiz stellte das Prinzip "Reisen und Lernen" dar. So hatte jede Schule alte Busse, welche ausgebaut wurden mit Schlafmöglichkeiten und quasi als fahrende Klassenzimmer dienten für lange Studienreisen. Ziele waren der nordafrikanische als auch der asiatische Raum.

In den 80´gern expandierte Tvind mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit und mehrere neue Schulen wurden an anderen Orten innerhalb Dänemarks gegründet. Später dann auch in anderen Ländern, bis hin in die USA.

Wegen der sehr liberalen Gesetzgebung Dänemarks gegenüber alternativer Schulen, konnte Tvind mit staatlicher Unterstützung sich finanziell schnell ausbauen. Innerhalb der sog. Lehrergruppe galt das Prinzip, dass die Gehälter in einen Gemeinschaftsfond wanderten und jeder einzelne ein Taschengeld erhielt. Dieses Prinzip ist auch noch heute gültig.

Ende der 80´ger wurden dann mehr und mehr kritische Stimmen laut in Dänemark. Ziel der Kritik war das finanzielle Gebaren Tvinds, die mit Immobilien und anderen nicht immer so durchsichtigen Geschäften weitere Kapitalkraft aufbauten. In den Augen der dänischen Bevölkerung galten die Praktiken Tvind als anrüchig und erst Recht die Steuerpolitik Dänemarks stand zunehmend skeptisch dem Projekt Tvind gegenüber.

Tvind gründete dann die Auslandhilfsorganisation UFF (Ulandshjaelp fra Folk til Folk). Diese Organisation machte mit Kleidersammlungen und Projekten in Afrika, Asien und der Karibik bald negative Schlagzeilen. Es wurde behauptet, dass ein Großteil der Gelder für Interessen des inzwischen zu einem Imperium gereiften Tvind Systems verwendet wurde.

Auch die intersozialen Strukturen innerhalb der Lehrgruppe fielen zunehmend negativ auf. Durch Berichte ausgestiegener Mitglieder wurden Einblicke in die ansonsten sehr verschlossene Gemeinschaft der Lehrer ermöglicht. Von Gehirnwäsche, Manipulationen und kollektiven Psychodruck ist die Rede und selbst ein Vergleich zu Scientology wurde des Öfteren gezogen. Obwohl die Tvind-Schulen nicht als Sekte bezeichnet werden, so stehen sie dennoch auch unter diesem Verdacht.

Was als pädagogisches und soziales Experiment in den 70´gern begann, ist heute zu einer sehr zweifelhaften und undurchsichtigen Organisation geworden.

Da z. Zt. der ideologische Anführer Amdi Petersen unter Anklage wegen Steuerhinterziehung steht, hat der dänische Staat sämtliche Fördergelder für die Tvind Schulen gestrichen und damit das Tvind System in eine prekäre Lage gebracht. Es steht in Frage, ob Tvind sich davon jemals wieder ganz erholen wird. Der Imageschaden ist auf jeden Fall gewaltig und hat dazu geführt, dass die Schulen sich öffentlich weitestgehend abgeschottet haben.

Am 31. August 2006 endete der Gerichtsprozess wegen Steuerhinterziehung von Amdi Petersen und 7 weiteren Angeklagten mit einem klaren Freispruch für 7 von den 8 Angeklagten. Steen Byrner, welcher während des Prozesse eine Teilschuld eingestand wurde zu einer Bewährungsstrafe von 1 Jahr und 80.000 Kronen Bussgeld verurteilt."


Soviel dazu. Ich weiß auch, dass nicht alle Leute der Meinung sind, dass Tvind zurecht angeprangert wird. Was meint Ihr?


Interessante Links:
www.tvindalert.com
mapi

Beitrag von mapi »

Hej El Hurg,

bei unserem letzten Winterurlaub an der Westküste sind wir bei einer Wanderung durch die Madum Kirke Plantage (südwestlich von Ulfborg) auf die Tvind-Mühle gestoßen.

Der riesige Parkplatz vor der Mühle war leer und nirgendwo war ein Mensch zu sehen.
Im Sockel dieser Mühle war der Ausstellungsraum geöffnet, in dem über die Entstehung und die technischen Details der Mühle berichtet wurde.

Ich habe gerade eines der Faltblätter vor mir, das dort zur Info in deutscher Sprache auslag.
Da geht es um Technik und Ökologie, auch bei nochmaligem Durchlesen kann ich nichts entnehmen, was auf eine sektenartigen Hintergrund schließen lässt.

Deshalb war ich sehr erstaunt, hier im Forum über diesen Prozess zu lesen.

Es war einfach nur phantastisch, wie sich diese riesigen Flügel direkt über uns bewegten! Habe das noch nie so nah erlebt und war beeindruckt, sicher auch durch den Kontrast zur Idylle der umgebenden Landschaft.

Über das, was sich da im Hintergrund abgespielt hat, kann ich mir aber absolut kein Urteil erlauben.

Gruß!
Marion
El Hurg
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Beitrag von El Hurg »

Hallo Marion,

wie ich oben kurz erwähnt habe, entstammen die Tvind-Schulen einem maoistischen Gründerkreis. Die große Tvindmühle war in den 70ern das Prestigeprojekt der Tvindschule, was diese auch erstmalig international bekannt machte. Zum damaligen Zeitpunkt war die Mühle die Größte der Welt. Man wollte damals ein Zeichen setzen, was mit alternativen Energien alles möglich ist und konnte mit der Mühle anscheinend auch einen großen Teil des Bedarfs in Tvind bei Ulfborg decken.

Heute ist vom "Öko" und gleichmäßige Verteilung des Kapitals nicht mehr wirklich viel übrig. Das wird heute nur noch den Schülern erzählt und die Taschen laden sich die Besitzer des Tvindimperiums voll.

Hier ein sehr interessanter Bericht, den ein Wiener Tvindexperte übersetzt hat. Er behandelt ein paar Einzelschicksaale, u.a. werden Aussteiger protraitiert:

http://griess.st1.at/tvind/dninuffs.htm

Tvind wird nun schon seit Jahren in der Sektendatenbank religio geführt, von der EZW (Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen) und von vereinzelten Landesregierungen in Deutschland beobachtet; in Frankreich wurde Tvind verboten.
lyngvigfyr
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Beitrag von lyngvigfyr »

Hej,
wir fahren ja auch immer in die Gegend bei Ringkøbing, kennen auch Ulfborg, wussten zwar, dass Tvind da irgendwo liegt, haben aber nicht einen einzigen Hinweis wahrgenommen.

Du, El Hurg, schreibst über negative Erfahrungen, die du selbst gemacht hast. Kannst du das näher beschreiben oder wird dir das zu persönlich?

Mich würde interessieren, auf welche Weise man überhaupt Erfahrungen mit Tvind macht. Hinter welchen Aktionen verbergen sie sich?

Gruß

(bin weder in einer Sekte noch auf Aufklärungstour :wink: )
El Hurg
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Beitrag von El Hurg »

Ich selber bin mit ihnen in Kontakt gekommen, weil ich mir überlegt habe, Entwicklungshilfe zu machen. das ist a) ne extrem sinnvolle Sache, b) man lernt anderen Kulturen bzw. Sprachen kennen und c) kommt einigermaßen billig in andere Erdteile.

Da kam ich dann auf eine Adresse, die ich wohl über Google gefunden habe. HUMANA nannte sich der Verein (die sammeln hauptsächlich gebrauchte Kleider, um sie dann angeblich zu Bedürftigen weiterzuleiten). Klingt ganz nett, habe ich gedacht: 6 Monate Vorbereitung in Dänemark markieren den ersten Teil des Programms - das ist der Teil, in dem Tvind die Jugendlichen in dänischen Städten irgendwelche Postkarten verkaufen lässt und alles tut - nur nicht, die Jugendlichen vorzubereiten. Hier geht es darum, dass Geld aus den Jugendlichen rauszuwringen und sie glauben zu lassen, dass sie das für einen guten Zweck machen.

Danach gehts 6 Monate in ein afrikanisches Land um Entwicklungshilfe zu leisten. Vor Ort gibts meistens Chaos, schlechte Versorgung und Unterbringung. Es sind bei diesen Einsätzen schon mehrere Freiwillige gestorben - aufgrund mangelnder Vorbereitung und fragwürdigen Lebensbedingungen vor Ort. Der letzte Fall, der mir bekannt ist, ist der eines deutschen Jugendlichen, der in 2002 in Brasilien nahe einer Tvindplantage (ja, man betreibt auch Plantagen, in denen es vor einem Jahr Aufstände der einheimischen Arbeiter gab, die gegen die unwürdigen Arbeitsbedingungen protestiert haben) bei einem Überfall gestorben ist. Vor einigen Jahren ist mal ein veraltetes Schiff mit einigen Tvind-Insassen gesunken. Alle tot.
Es gibt aber auch Leute, die von diesen 6 Monaten positiv berichten. Ich will das nicht alles ins schlechte Licht zerren, obwohl es bei den ganzen Berichten schwer fällt. Andere sagen, dass bei Tvind der gute Gedanke im Vordergrund steht, die Ausführung vor Ort aber mangelhaft ist.

Nach diesen 6 Monaten soll man den Entwicklungshilfeinsatz in Südafrika auswerten - 3 Monate lang.

Hier kann man mal nachlesen, was Humana über das Programm schreibt:
http://www.humanapeopletopeople.de/2020.html.

Ich persönlich bin nicht in die Humana-Falle gelaufen. Kurz vor Programm-Beginn habe ich von Freunden die Warnung bekommen, was da abläuft und seitdem viele Betroffene und Aussteiger getroffen.


Die Freiwilligen bilden bei Tvind nur die "unterste Schicht". Darüber steht die sogenannte Lehrergruppe, ca. 500 "Lehrer", die die einzelnen Tvindschulen und die anderen Organisationen leiten und ihrerseits wieder der Führung unterstehen. Diese bekleidet Morgens Amdi Petersen mit seiner Frau Kirsten Larsen.

(Das zumindest meinen Webseiten wie tvindalert.com nachgewiesen zu haben. Mit solchen Behauptungen muss man vorsichtig sein, weil Tvind fleißige Anwälte besitzt, die schon öfters Kritikern, vor allem in Dänemark, ihre finanzielle Existenzgrundlage durch eine Flut von Klagen beraubt haben. Ich schließe mich diesen Aussagen also nicht an, sondern dokumentiere sie nur als die von Freunden und tvindalert.com).

Bei genaueren Fragen könnt ihr mir ja ne PM schreiben :)
lyngvigfyr
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Beitrag von lyngvigfyr »

Danke für deine offenen Worte.

Ich denke, du hast das gut geschildert, ohne dass dir daraus juristische Probleme erwachsen.

Liebe Grüße
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