Kindesentführungen oder -misshandlungen in DK?

Sonstiges. Dänemarkbezogene Themen, die in keine andere Kategorie passen.
Ursel
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Beitrag von Ursel »

Hej Michael!

Ich glaube, das hat einmal was mit der Grundeinstellung "der Deutschen" und "der Dänen" zu tun - die einen sehen eher schwarz, die anderen eher optimistisch auf Gegenwart und Zukunft (haben wir ja schon an anderen Stellen oftmals diskutiert).
Und es hat etwas mit dem anderen pädagogischen Menschenbild von Kindern zu tun, das mich - die ich zwar nicht überzeugte Waldorfmutter bin und niemals werde, aber doch viele Grundzüge in mein Denken und handeln versuche zu übernehmen, wenn ich sie gut finde - manchmal an diese Waldorfsicht erinnert:
Man vertraut dem Kind mehr.
(Daß man in DK dann wiederum dem Kind schon sehr früh große Eigenverantwortung aufbürdet, ist vielleicht die Kehrseite, aber dennoch): Man setzt auf das Kind, man zeigt ihm immer wieder: Du schaffst das - und man tüdelt ihm nicht so hinterher wie in Dtld. oftmals, wo alles von Mutters Augen gut vorhergesehen ist.

Mir kommt diese Pädagogik sehr entgegen, aus verschiedenen Gründen.
Nicht nur, weil ich eben trotz aller Skepsis und Kritik waldorfinfiziert bin und hier viele Züge wiederfinde, wenn auch manchmal in abgewandelter Form (die mir dann wiederum sogar besser gefallenkann :wink: ), sondern auch, weil das ganze Umfeld einen in diesem Stil bestätigt, ermutigt, ermuntert.
Es muß unglaublich schwer sein, in einem so ängstlichen Umfeld wie in Dtld. (nicht nur bezogen auf Kinderschänder und Verkehr, sondern auch Leistung und Versagen etc.) sein Kind zu einem Menschen zu erziehen, der gesundes Selbstvertrauen und Stärke in sich selbst hat!!
Da müssen bereits die deutschen Eltern sehr stark sein, denke ich mal!

Gruß Ursel, DK - deren Tochter am Sonntag Geld miteinsammelt von Tür zu Tür , obwohl die Mutter der Freundin (Dänisch!) wohl Bedenken hat... da haben wir tatsächlich doch mal eine etwas ängstlichere, vorsichtigere Mutter :wink:
Zuletzt geändert von Ursel am 02.10.2007, 09:56, insgesamt 1-mal geändert.
""Den virkelige opdagelsesrejse går ikke ud på at finde nye lande,
men at se med nye øjne."

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MichaelD
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Beitrag von MichaelD »

Hallo Ursel

Da sind wir wirklich einer Meinung. Wobei der Schul- und Leistungsstress ja nicht nur von der Arbeitsmarktlage, sondern auch vom Schulsystem her kommt.
Mich graust es jedesmal, wenn ich einen dieser zahllosen deutschen Nachhilfegeschäfte und Paukinstitute passiere. Da herrscht scheints immer noch das Leitbild des Lehrstofftrichters.

Gruss Michael
Vilmy
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Beitrag von Vilmy »

Hallo,
das der Schulstress vom Schulsystem kommt, kann ich (selbst im deutschen Schulsystem aufgewachsen) nicht nachvollziehen. Schliesslich gibt es vier bestandene Noten; trotxdem erlebe ich bei deutschen Bekannten immer wieder dass 3 oder 4 als inakzeptabel gelten. Warum, könenn sie dann auch nicht erklären.

Gruss, vilmy
lyngvigfyr
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Beitrag von lyngvigfyr »

Hej,
@Ursel:
Wenn du schreibst,
Es muß unglaublich schwer sein, in einem so ängstlichen Umfeld wie in Dtld. (nicht nur bezogen auf Kinderschänder und Verkehr, sondern auch Leistung und Versagen etc.) sein Kind zu einem Menschen zu erziehen, der gesundes Selbstvertrauen und Stärke in sich selbst hat!!
, dann empfinde ich das als ein wenig zu verallgemeinernd.
Ich stimme dir voll zu, dass es in Deutschland (wie überall!) schon bewusst starker Erwachsener bedarf, um die Kinder zu innerer Stärke zu erziehen. Aber dass "Ängstlichkeit" das entscheidende Charakteristikum des Umfelds sei, das sehe ich nicht so. Angst ist im Grunde ein wichtiger Hinweis: Achtung, Gefahr! Problematisch wird es, wenn man bei Gefahr nicht zu handeln weiß. So etwas in Richtung "Erlernte Hilflosigkeit" fände ich deshalb als Charakteristikum passender. Bewältigungskompetenzen müssen her! Für Kinder führt die Polizei bei uns z.B. kleine Kurse durch, in denen sie üben, gegenüber zudringlichen Erwachsenen ganz laut Nein zu sagen.

@Michael:
Auf alle Fälle kommt der Leistungsdruck auch aus dem Schulsystem. Aber nicht nur: Der Anteil der Eltern daran ist der, dass sie die Kinder in die Nachhilfe schicken, damit sie mithalten können, denn ein Kind was nicht mithalten kann, wird als Schande empfunden und die Eltern sehen sich schon den vermeintlichen "Versager" durchfüttern bis er Ende 30 ist. Denn die Lehrer schieben doch (Erfahrung aus meinem Umfeld) ganz gern die Verantwortung für den Lernerfolg den Eltern zu. Dabei müssten nicht wenige von ihnen vielleicht auch selbst besser reflektieren, ob ihre Methoden geeignet sind, Wissen nicht einzutrichtern, sondern so darzubieten, dass es verstanden wird, und zwar gern und motiviert verstanden.
(Natürlich gibt es auch Lehrer, die das können. Denen wünsche ich hier an dieser Stelle viel Durchhaltevermögen!)

Irgendwie habe ich den Eindruck, dass Kindern und Jugendlichen gegenüber in Deutschland eine feindselige Haltung besteht, die - das mag jetzt ein weit gespannter Bogen sein, aber nicht ganz abwegig - in speziellen Einzelfällen darin gipfelt, dass die Feindseligkeit abreagiert werden "muss" in Form grausamer Misshandlung der Schwächeren.

Gruß
Kirsten
Ursel
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Beitrag von Ursel »

Hej Kerstin!

natürlich war ich verallgemeinernd, und generell ist das natürlich auch nicht gut.
ich habe deshalb aber auch "die Dänen" und "die Deutschen" in "" gesetzt... :wink: , denn wir alle wissen,daß es da immer Schattierungen bis hin zu beiden Außenkanten gibt.
Nur die Grundtendenz empfinde ich dann doch eher so, wie ich beschrieben habe.

Kaum ein Mensch hierzulande würde ja auch so eine Frage wie die Ausgangsfrage stellen!

ich erinnere mich z.B. seh gut an eine Mitschülerin meiner Tochter in der 0. Kl., die ziemlich verträumt war.
Eines Tages rief ihre Mutter an und fragte, ob sie irgendwas nicht mitbekommen hätte, Klassengeburtstag oder so, denn die Tochter war noch nicht nach Hause gekommen - es war lange über die Zeit, sie mußte den Schulbus nehmen etc.
Meine war auch längst zuhause, also nix mit gemeinsamen Aktivitäten - und da ich gerade aus Dtld. von dem Fall eines verschwundenen Kindes wußte (unsereiner lebt ja nunmal in 2 Welten), beruhigte ich die Mutter, daß sicher nichts passierts ei, das Mädchen sei ja so ein Träumerle ...
Aber DEN Gedanken verstand diese Mutter nun gar nicht, die hatte keine Sorgen und Ängste, daß da ein "Kinderschänder" am Werke sei - und richtig kam das Kind dann auch irgendwann träumend über die Felder nach Hause geschlendert.
Wenn ich dann an die Familienforen denke, in denen das Zuspätkommen eines Kindes bereits nach einer halben Stunde mit den schlimmsten Ängsten verbunden wird, dann spüre ich in Dtld. durchaus eine Angst (die übrigens auch mich dort manchmal ergreift :wink: ), die ich hier nicht merke.
Obwohl solche Fälle ja auch hier vorkommen und niemand davor sicher ist.
Deshalb finde ich solche Kurse, wie Du sie ansprichst, auch sehr richtig und wichtig und ganz toll, daß sie i nDtld. gemacht werden!!! Hier vermisse ich sie manchmal, aber das ist eben irgendwo keine Thematik.


Genauso ist eben dieser Leistungsdruck für mich ein Ausdruck der Angst: Angst vor dem Versagen, Abngst vor einer schlechteren Zukunft ohne Berufsausbildung, Angst vor Schande (die Du ansprichst), Angst ...
Das alles wird hier doch weitaus gelassener gehandhabt.

Gruß Ursel, DK
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lyngvigfyr
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Beitrag von lyngvigfyr »

Hej Ursel,
ja klar, es ist ein ziemlich hohes Maß Angst da, aber warum nicht bezüglich aller Themen in dem Maß wie bei den relativ selten vorkommenden Kindesentführungen? Warum haben Eltern z.B. scheinbar viel weniger Angst, wenn es um z.B. die Folgen des Rauchens oder Alkohol-Trinkens geht?

Und dann noch eine Frage, weil du sagst, die "Dänen" (:wink:) seien gelassener.
Was denkst du, warum das so ist?
Mal auf das Thema dieses Threads bezogen.
Ist man in DK gewappneter im Umgang mit entsprechenden Ängsten? Weiß man sich besser zu helfen in solchen Situationen?
Oder wird in den Medien anders damit umgegangen?
Sind die Gesetze so, dass man sagen kann: In DK wird einem Täter schon beim kleinsten Vergehen der größtmögliche Riegel vorgeschoben (Das ist nämlich in D nicht so, da bestehen Lücken "lustig" weiter und die Gesetzesmacher kommen nicht aus dem Knick, obwohl ihnen - aber auch der Öffentlichkeit - bekannt ist, was zu tun wäre.
Oder überträgt sich da eine Sicherheit, die dänische Eltern von einem anderen Lebensbereich her mitbringen? Von welchem?

Und vielleicht, falls du möchtest, ich hab ja schon reichlich Löcher in den Bauch des Computers gefragt :oops: , erzählst du auch, ob du dich an die dänische Gelassenheit angepasst hast im Laufe der Jahre; das wäre ja vielleicht für den Urheber des Threads (und andere) eine Hoffnung.

Gruß
Kirsten
Ursel
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Beitrag von Ursel »

Hej Kerstin!

genau diese Fragen habe ich mir beim Schreiben auch gestellt - also:
Warum haben die Dänen (ich lasse die "" jetzt mal weg) weniger Angst vor Kindesentführungen, wenn ein Kind sich mal verspätet etc.

Ich weiß es ja auch nicht genau, ich habe das ja auch nie untersucht (durch Befragungen und Auswertungen etc.), aber ich merke es ja.

Und ja, ich glaube, die Medien gehen damit anders um.
.
Es gibt keine Panik, die Fälle werden als dargestellt, was sie sind: Nämlich gemessen an den Fällen, die gar keine Fälle sind, EINZELfälle.

Während ich selbst ja - wider besseres Wissen, weil die Statistik ja rückläufig ist - in Dtld. manchmal auch schon halb schizophrene Züge angenommen hatte (Kinderwagen vor der Haustür? - nee lieber nicht!, Kind allein auf Spielplatz? Nee- lieber nicht...) habe ich diese Bedenken hier nicht.
ich sehe hier nicht hinter und in jedem Fremden jemanden, der mir und meinen Kindern Böses antun will.
Und in den Nachrichten merke ich eben doch nicht so sehr die Übertragbarkeit - sprich: Ich sag mir nicht automatisch bei einem dieser Fälle: oweia, davon laufen ja noch zig unerkannt herum und schaue mir dauernd über die Schulter..
Das tue ich hier nicht, das tut hier wohl keiner.

Hinzu kommt sicher auch, daß hier in Jütland die meisten auf dem Lande wohnen, man kennt sich und wie in Dtld. auch fühlt sich Landleben (auch entgegen aller Logik und Statiustisk) sicherer an.

Und ja, vermutlich spielt eben auch die andere Menthalität hinein.
Ein Volk, das so in sich ruht wie die Dänen, das sich als zufriedenstes Volk bezeichnen darf (trotz so vieler Mängel :wink: ) hat eben eine positivere Einstellung, auch zu anderen Dingen.


Ob ich mich angepaßt habe?
Du meinst jetzt, in diesem Bereich?
Nun, ich habe ja niemals Kinder in Dtld. gehabt, beobachte eben nur, wie andere in Dtld das Thema (und andere) handhaben und natürlich bin ich beeinflußt von der Pädagogik und der Lebensart hier.
Diese Angst verspüre ich hier jedenfalls nie, wenn meine Tochter zu spät aus der Schule kommt :wink:
Da aber diese Pädagogik meinem Gefühl und meinen Prinzipien oft auch entgegenkommt, fältl mir die Anpassung (in diesem Bereich) nicht so schwer wie vielleicht in anderen.
(Schulisch z.B. vermisse ich trotz besserer Vernunft manchmal doch mehr Disziplin, mehr Leistung = Herausforderungen).
Das ist manchmal (wie ich finde) durchaus gerechtfertigt, manchmal siegt dann auch mein Kopf, der die Vorzüge des dänischen Schulsystems ja kennt, und so kann ich wettmachen.
Es ist ja wie immer ein Abwägen der Vor- und Nachteile. was überwiegt, womit kann ich leben, womit nicht?)

Und Integration bedeutet eben nicht, daß man alles toll findet und mitmachen muß - von daher bin ich ja in der glücklichen Lage, aus 2 Systemen, zwei Grundrichtungen wählen zu können :D

Wie schon gesagt, fällt mir das in Bezug auf Kindererziehung meistens leichter, denn die Grundhaltung hier kommt mir entgegen und daher habe ich auch Umfeld, das zu meinem Lebensstil in diesem Bereich paßt.
das unterstützt mich natürlich allein durch seine derartige Existenz, denn hier muß ich dann nicht auch noch "anders" sein :D .

Eilige Grüße - Ursel, DK
""Den virkelige opdagelsesrejse går ikke ud på at finde nye lande,
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