Dänen und Deutsche im/nach dem 2. Weltkrieg

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Nobert
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Beitrag von Nobert »

Dansker, svensker og svejtser har haft en ting fælles:

De arbejde 6 dag af ugen for tyskerne og den 7. dag ønskede de at de allierte gik med sejren.
Monika D.

Beitrag von Monika D. »

Hallo,

gerade gab es im NDR im Kulturjournal einen Bericht über Frau Kirsten Lyllofs Forschungsergebnisse, Titel: "Nur ein Deutscher". Über 7000 Flüchtlings-Kinder starben damals, darunter nahezu alle unter einem Jahr.
Frau Kirsten Lyllof: ".... Ich nenne das eine humanitäre Katastrophe".
siehe: http://www3.ndr.de/ndrtv_pages_std/0,3147,OID1398612,00.html

Viele Grüße
Monika
Nobert
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Lagerleben

Beitrag von Nobert »

Hier berichtet eine deutsche Frau von ihrer Internierung in DK:

Hildegard Neufeld
T E I L I

Mein Weg von Ost nach West
- Rückblick und Ausblick
„Nichts bildet den Menschen mehr als Menschenschicksal sehen„, schrieb einst Wilhelm Raabe. Ich greife seine Worte hier auf, weil ich sie bestätigt fand als ich meinen Weg aus der alten in eine neue Heimat überdachte – mehr als fünf Jahrzehnte nachdem der Krieg endete und mein neuer Lebensabschnitt begann. Ein neuer Lebensabschnitt, das war zugleich auch der Beginn meines Erwachsenenseins, der sich nicht übergangslos vollzog und geprägt wurde durch die Erlebnisse der Kindheit und die Erfahrung von Krieg und Verlusten.
Auf dem Weg in die Zukunft schreitet die Vergangenheit mit, wenn auch zumeist unsichtbar, aber sie ist immer präsent und beeinflußt das künftige Leben und Erleben. Deshalb will ich ihr in diesem Bericht Raum geben.

Die alte Heimat
Meine Kindheit verlebte ich im Freistaat Danzig. Mehr als drei Jahrhunderte lang hatten meine Vorfahren in der Weichselniederung Land bebaut. Deutsch waren sie immer gewesen, und das Land an der Weichsel war stets das gleiche geblieben, gutes fruchtbares Marschland, aber ihre Staatsbürgerschaft hatte gewechselt, je nachdem, wer gerade die Staatsgewalt ausübte.
Grenzlanddeutsche sind sensibel, wenn es um ihr Land und um ihre Sprache geht. Unser Heimatland nannten wir Deutschland und nicht Danzig, wie es damals hieß. Bald nannte es sich Groß-Deutschland, und in der Geschichtsstunde wurde uns der Weg dorthin, den der polnische Korridor noch versperrte, als erstrebenswertes Ziel vorgestellt. „Deutschland – einig Vaterland„ haben wir damals nicht gerufen, aber rückblickend glaube ich, daß es auch dieser Wunsch und Gedanke war, der mich bewegte, als ich die „Wiedervereinigung„, die zu jener Zeit noch einen anderen Namen trug („Heimkehr ins Reich„), erstrebte.
Am 1. September l939 erlebte ich fast „aus nächster Nähe„ den Kriegsausbruch. Mehr als das Kampfgeschehen, das ich aus sicherer Entfernung beobachtete, beeindruckte mich die Betroffenheit meiner Eltern, die bereits einen Krieg erlebt hatten, mein Vater als junger Soldat. Mich beschäftigte eher eine sehr bald sich abzeichnende Veränderung: aus dem Freistaat Danzig wurde wieder Deutschland und aus mir, inzwischen 15-jährig, eine deutsche Staatsbürgerin. Auch die Währung wechselte. An die Stelle des Danziger Gulden trat die Reichsmark. In meinem persönlichen Leben trat keine nennenswerte Veränderung ein, aber es war Krieg. - Der Preis, den die „Wiedervereinigung„ (der Wieder-Anschluß an Deutschland) gekostet hatte, auch wenn diese nicht Ursache sondern Anlaß war, war hoch, viel zu hoch, wie jeder, der denken konnte und es auch wollte empfand, als der Krieg immer mehr Opfer forderte...
Stationen der Flucht
Nachdem der Krieg mehr als fünf Jahre in den Nachbarländern gewütet und weit darüber hinaus seine Spuren hinterlassen hatte, kehrte er wieder an seinen Ausgangspunkt und nach Deutschland zurück. Im März 1945 fiel Danzig, und bald hieß es Abschied nehmen, Abschied von meinen Eltern, von meiner Heimat, von Deutschland.
Es war in den letzten Apriltagen des Jahres 1945. Im Schutze der Nacht brachen wir als Flüchtlinge - zusammen mit einem Verwundetentransport – vom hart umkämpften Weichselufer auf und gelangten auf einem überfüllten Prahm zur Halbinsel Hela. Ein Frachtschiff brachte uns nach Dänemark, vorbei an einem frischen Massengrab, das den Flüchtlingen der Wilhelm Gustloff kurz zuvor bereitet worden war. Wir teilten das Deck mit den Toten, die als Verwundete die Schiffsreise angetreten hatten, und mußten ihnen im Laufe der mehrtägigen Fahrt immer mehr Platz einräumen. – Deutschland rückte wieder fern, ferner denn je.
Unser Schiff landete – war es Ziel oder Zufall? - in Dänemark. Dort blieb ich 2 ½ Jahre, davon einige Tage meinem neuen Status entsprechend, als Flüchtling, sehr bald als Internierte und in den letzten Tagen meiner Internierungszeit in Dänemark, als ich mich einer noch unbekannten, bzw. noch zu suchenden Wohnstätte im Nachkriegsdeutschland nähern durfte, war ich zum Heimkehrer avanciert.
Internierung in Dänemark
In den dänischen Internierungslagern, die zwar nicht Heim, aber Herberge waren, versperrten in der Regel meterhohe Stacheldrahtzäune mit Wachtürmen den Weg nach draußen und damit nach Deutschland. Doch das war es nicht allein, was einer Heimkehr in absehbarer Zeit entgegenstand. Eine Rückkehr in die bisherige Heimat war ausgeschlossen. Der Osten Deutschlands war der Sowjetunion und Polen zugesprochen worden. Restdeutschland litt noch immer - infolge der Kriegseinwirkungen, vor allem der Fliegerangriffe – unter gravierender Wohnungsnot und hatte zudem die hereinströmenden Flüchtlinge und Heimatvertriebenen aufnehmen müssen. Das altbewährte Sprichwort „Raum ist in der kleinsten Hütte„ hatte für das zerstörte und geteilte Deutschland der Nachkriegszeit keine Gültigkeit.
Für die nach Dänemark Geflüchteten bzw. für die bei Kriegsende dort Internierten war lange Zeit kein Platz in Deutschland.
Als im zweiten Nachkriegsjahr entfernt Verwandte aus Kanada mir eine Adoption und damit eine Zukunft in ihrem Land anboten, schlug ich dieses Angebot dennoch aus, ich wollte heim – nach Deutschland. Chancen, die dänischen Internierungslager zu verlassen, hatten allerdings nur diejenigen, die im Nachkriegsdeutschland Angehörige hatten und dazu das Glück, daß dieselben just in der Besatzungszone lebten, in der die Bewohner wieder einmal zusammenrückten, um weiteren Flüchtlingen Platz zu machen.
Anstelle der mir fehlenden Angehörigen erfand ich vier passende Väter, zur Sicherheit in jeder Besatzungszone einen. Es gelang mir sogar, den jeweils erforderlichen schriftlichen Nachweis zu erbringen. Im Sommer 1947 schlug für mich die Stunde der Heimkehr. Zuerst durften die in der damaligen Sowjetzone lebenden Väter ihre in Dänemark harrenden Kinder heimholen, und ich fuhr zu meinem Onkel, der nach Brandenburg geflüchtet war und sich vorübergehend als „Vater„ zur Verfügung gestellt hatte.
Auf der Suche nach einer neuen Heimat
Noch heute erinnere ich mich an den Tag meiner Ankunft in Deutschland. Wie bei der einstmaligen Flucht fuhren wir wieder mit einem Schiff über die Ostsee – diesmal in entgegengesetzter Richtung. Als wir uns der mecklenburgischen Küste näherten, erschien ein russischer Offizier auf dem Deck des Schiffes. Wir wurden in einem offiziellen Akt den Russen übergeben. Ein vor mir stehender alter Mann zog devot seine Mütze, verbeugte sich – Furcht kam auf, teilte sich wohl allen mit. Eine frohe Heimkehr war es nicht, und es war auch nicht das Deutschland, das ich mir als Heimat oder Zuhause erträumt hatte, das ich nun betrat.
Nach mehrtägigem Aufenthalt im Heimkehrerlager Evershagen bei Rostock, registriert und entlaust und mit entsprechender Bescheinigung versehen, setzte ich meine Reise zu meinem Ersatz-Vater fort.
Bleiben wollte ich dort allerdings nicht, und nachdem ich u.a. auf Geheiß der Sowjetverwaltung und unter militärischer Bewachung - zusammen mit den noch mobilen Dorfbewohnern - tagelang nicht vorhandene Kartoffelkäfer auf den Äckern suchen mußte, beschloß ich, es einmal mit dem anderen Deutschland zu versuchen. Schließlich hatte ich ja noch drei Väter in Reserve.
Erstaunt mußte ich feststellen, daß das Land meines zuerst gewählten Vaters, die Sowjetzone, mich behalten wollte, und als ich des Weges nach dem Westen unkundig, sozusagen zwischen zwei Fronten geriet, mich einzusperren versuchte, wenn auch mangels geeigneter Räumlichkeiten vorerst im örtlichen Spritzenhaus. Mit Hilfe eines Volkspolizisten, der noch gesamtdeutsch dachte und auch handelte, und meiner schnellen Beine, setzte ich nach kurzer Unterbrechung meinen Weg in die damalige Britische Besatzungszone nach Münster i.W. zu meinem nächsten Ersatz-Vater fort. Diesmal hatte meine Cousine die Vater-Rolle übernommen, die zwar ebenfalls Flüchtling und ohne eigene Wohnung, aber mit passendem Vater-Namen ausgestattet war.
In der vom Krieg stark zerstörten Stadt Münster lebte ich zunächst illegal, sorgsam versteckt in einem Studentenheim, bis die Voraussetzungen für meine offizielle Ankunft erfüllt waren. Das befreiende Zauberwort lautete damals „Zuzugsgenehmigung„ und diese berechtigte zum Empfang von Lebensmittelmarken und zu einer Unterkunft, falls es eine solche gab. Als ich mich allerdings als neue Bürgerin meiner selbsterwählten Stadt in der dafür vorgesehenen Amtsstelle registrieren ließ, blickte der hier diensttuende Beamte auf und sprach vorwurfsvoll aus, was andere wohl nur dachten: „Wieder eine, die uns die letzten Kartoffeln wegessen will!„ - Eigentlich hätten mir die westfälischen Kartoffeln nach diesem Willkommensgruß gar nicht schmecken dürfen, aber – soweit ich mich erinnere – hätte ich noch weitaus mehr davon verspeisen können, wenn sie erreichbar gewesen wären.
Nur wenige Monate gingen ins Land, da füllte die Währungsreform die Teller und Schüsseln und damit auch die hungrigen Mägen. Die Schrecken des Krieges begannen zu verblassen. West-Deutschland wurde Wirtschaftswunderland und Wohlstandsland. Kartoffeln und Brot waren künftig weniger gefragt, dafür mehr die Beilagen und der Belag. In dem Maße, in dem Hunger, Not und Angst durch die Errungenschaften der Gegenwart allmählich verdrängt, nur noch der Vergangenheit angehörten, ging allerdings auch die Sensibilität miteinander umzugehen verloren. Fremde Schicksale fanden immer weniger offene Ohren und seltener offene Türen.
R ü c k b l i c k
Denke ich heute an das Land meiner Kindheit, das einst meine Heimat war, dann verbinden sich meine Gedanken mit einem Wiedersehen – zwanzig Jahre nach dem Krieg. Es war nicht mehr Deutschland und es war nicht mehr „mein Land„, in das ich zurückkehrte, und das Haus meiner Väter, das ich zögernd betrat, war nicht mehr mein Zuhaus. Ob Wehmut, ob Trauer mich erfüllten als ich es wiedersah nach so langer Zeit – ich weiß es nicht mehr. Ich hatte ja inzwischen eine neue Heimat, ein neues Zuhause gefunden. Heimat ist dort, wo man sich geborgen fühlt, wo man die Sprache des anderen versteht und Denken und Fühlen eher gleichgerichtet sind. Diese Heimat wurde vor mehr als vier Jahrzehnten eine schmucke Kurstadt am Rande des Taunus, und sie wird es bleiben.
An das Land meiner Kindheit und Jugend, an Danzig, denke ich nur noch zuweilen zurück, wenn ich im Bilderbuch der Vergangenheit blättere, was immer seltener geschieht. Vielleicht werde ich eines Tages wieder zurückkehren, als Gast und für kurze Zeit, und ich werde wieder durch altbekannte Straßen gehen, Häuser anschauen und an Plätzen verweilen, die schön und liebenswert neu erstanden sind. Vieles ist vertraut und doch zugleich fremd geworden. Eine neue Zeit, eine neue Jugend, neue Generationen haben Besitz ergriffen von den Stätten meiner Erinnerung und sie mit ihrem Leben erfüllt. Und diese sind – nicht anders als einst ich – hier geboren und aufgewachsen und haben hier ihre Heimat, die nun Polen und nicht mehr Danzig oder Deutschland heißt, gefunden.
Denke ich an Ereignisse der jüngeren Vergangenheit, die mich berührten und zugleich Erinnerungen weckten, dann erlebe ich noch einmal den 9. November l989, den Tag, „an dem zusammenzuwachsen begann, was zusammen gehört„. Wiedergeben, beschreiben kann ich nicht, was ich an diesem Tag und in der darauf folgenden Zeit empfand. Es war, als brauste ein Sturm über das Land hinweg, beseitigte jahrzehntelange Schranken, erstarrte Reglementierungen, ja Hoffnungslosigkeit und Angst, und machte den Weg frei für eine gemeinsame Zukunft unseres mehr als vier Jahrzehnte lang geteilten Landes. Glücksgefühle sind schwer zu beschreiben, aber wenn man sie umsetzte, müßten sie – vergleichsweise – Berge versetzen können.
A u s b l i c k
Die Zeit verändert die Stärke und oft auch die Richtung der Gefühle, deshalb bereitet die „Überwindung der Berge„ heute – nach mehr als acht Jahren – mehr Schwierigkeiten als der Schöpfungstag der Wiedervereinigung es erscheinen ließ. Der Wachstumsprozeß geht nur langsam voran, und manche Wunden, die im Laufe von mehr als vier Jahrzehnten entstanden sind, werden erst langsam vernarben. Der ersten Euphorie sind Nachdenklichkeit, zum Teil auch Skepsis gefolgt, und auch Enttäuschungen sind nicht ausgeblieben. Manche Sorge, mancher Zweifel wären gewiß vermeidbar gewesen, aber sie haben auch das kritische Bewußtsein geweckt und Kritikfähigkeit gefördert, die notwendig ist, um Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und Handlungsfähigkeit reifen zu lassen.
Wir erleben heute eine „historisch bedeutsame Zeit„, wie die Medien es gerne formulieren und haben eine Schicksalsstunde miterlebt, die erfüllt war von Frieden, Freude und Hoffnung. Was sie uns außer dem ersten Glück der Wiedervereinigung noch alles bescherte, wird erst die Zukunft erweisen können. Wir Älteren denken natürlich zuerst an die Wahrung und Festigung des Friedens, die sie bewirkte. Wer wie wir erlebt hat, wie aus einem Deutschland zwei Staaten wurden, die sich in ihren Ausrichtungen und Zielen immer weiter voneinander entfernten, daß aus Menschen, die einst durch Familienbande und Freundschaften miteinander verbunden waren, im Laufe der Zeit fast Fremde wurden, dessen Hoffnung auf ein gemeinsames, wiedervereintes Deutschland war, mehr und mehr der Boden entzogen worden. Und für die jüngeren Generationen gab es kaum noch Brücken für ein Zueinander und Miteinander. Könnte daraus eines Tages auch ein Gegeneinander entstehen? Der Gedanke daran war zu belastend, um ihn weiterzuführen. - Der Tag der Wiedervereinigung war auch ein Tag der Befreiung von einer Sorge, die unsere Zukunft betraf.
Einst haben wir, die Deutschen in Ost und West, einen gemeinsamen Krieg finanziert, haben für eine angeblich bessere Zukunft gekämpft und gelitten bis hin zur gemeinsamen Katastrophe. Anschließend haben wir uns bemüht, den wiedererlangten Frieden zu sichern – diesmal getrennt und mit Hilfe von einsatzbereiten Waffen. Nun gilt es, die gemeinsame Zukunft zu sichern, aufzubauen und zu gestalten, eine Zukunft, die ein jeder von uns erstrebt, ob in Ost oder West, ob in Sachsen und Thüringen, in Hessen oder Rheinland-Pfalz zu Hause. Den Krieg haben wir verloren, aber die Zukunft haben wir behalten, und welche Verantwortung, welche Verpflichtung darin liegt, diese Zukunft für die künftigen Generationen zu bewahren, das wissen wir, die heute Älteren und Alten, aus eigenem Erleben. Unsere Aufgabe als Zeitzeugen liegt darin, unsere Erfahrungen, unser Wissen weiterzugeben und verantwortungsbewußt umzusetzen - für eine friedvolle Zukunft.

T E I L II

Zeit der Internierung in Dänemark
In den letzten Kriegswochen des Jahres 1945 stand der durch Kampfhandlungen betroffenen Bevölkerung Ost- und Westpreußens nur noch ein Fluchtweg offen: der Schiffsweg über die Ostsee. Einige der Flüchtlingsschiffe landeten in Schleswig-Holstein, andere in Dänemark, und eine nicht bekannte Anzahl erreichte nie ihr Ziel.
Dänemark war in den Kriegsjahren 1940 – 1945 von deutschen Truppen besetzt, von Kampfhandlungen jedoch weitgehend verschont geblieben. Nun wurde es von der deutschen Flüchtlingswelle geradezu überrollt. In nur wenigen Wochen mußten dieses Land, das nur ca. 4 Millionen Einwohner zählte, etwa 200 000 deutsche Flüchtlinge aufnehmen. Allein in Kopenhagen wurden 120 Schulen beschlagnahmt, im ganzen Land über 1 000 Flüchtlingslager eingerichtet.
Nach der Kapitulation Deutschlands wurden die deutschen Flüchtlinge in Dänemark interniert und in von dänischen Freiheitskämpfern bewachten Lagern zusammengefaßt, die zumeist durch Stacheldrahtzäune und Wachtürme gesichert wurden. Daß sich die Ressentiments der Bevölkerung eines besetzt gewesenen Landes besonders am Anfang auch gegen die Flüchtlinge auswirkten, ist – besonders aus heutiger Sicht – verständlich. Es kam zu gelegentlichen Übergriffen, selten zu Gewalt und bedrohlichen Situationen.
Die deutschen Flüchtlinge stellten eine beachtliche Belastung für Dänemark dar, doch gab es zunächst keinen Weg für das Land, sich der ungebetenen Gäste zu entledigen. Das Nachkriegsdeutschland hatte ca. 12 Millionen Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten aufnehmen müssen und war überfüllt. In der Britischen Besatzungszone bestand etwa die Hälfte der Bevölkerung aus Flüchtlingen bzw. Vertriebenen. Neben der völlig unzureichenden und oft lebensbedrohenden Versorgungslage herrschte lange Zeit ein gravierender Wohnungsmangel.
Für die in Dänemark internierten Flüchtlinge war in Deutschland zunächst kein Raum. Erst etwa zwei Jahre nach Kriegsende durften die ersten Kontingente nach Deutschland ausreisen. Einige hatten sich inzwischen zu einer Auswanderung entschlossen, z.B. als die dänische Regierung im Jahre 1947 unzweideutig erklärte, daß sie die Danziger Flüchtlinge nach Danzig zurücksenden bzw. den Russen ausliefern werde, falls nicht innerhalb weniger Monate eine Aufnahmegarantie vorliege. Erst im Jahre 1948 kehrten die letzten Flüchtlinge nach Deutschland heim, konnten die letzten Internierungslager in Dänemark aufgelöst werden.

Erinnerungen – Erlebnisse – Bewertungen
Welche Gedanken, welche Erinnerungen an meine Internierungszeit sind geblieben, welche Eindrücke haben mein weiteres Leben, das mit 21 Jahren in eine neue, nie vorgesehene Richtung gelenkt wurde, geprägt? Wird diese Zeit rückwirkend ausschließlich als Verlust oder auch als Gewinn gewertet?
Bevor ich an meine Erinnerung apelliere, um Erlebnisse wiederzufinden und freizugeben, zu schildern und auch zu werten, greife ich zu Authentischem, um zu erfahren, was ich empfand, als das erste Jahr meiner Internierung in Dänemark zu Ende ging. Der nachfolgende Bericht entstand zum Jahresschluß 1945 im Internierungslager, und er ist geprägt durch das Erleben von Krieg, Flucht und meiner Ankunft in Dänemark. Er zeigt sehr eindrucksvoll auf, daß tiefgreifende Erlebnisse oft sehr lange das Denken und Handeln der Betroffenen bestimmen und auch mitgetragen werden müssen – vielleicht ein Leben lang. Ich hatte die Einzelheiten, die ich jetzt in einem (damals so kostbaren karierten Schulbuch) las, nahezu vergessen.
Im Internierungslager aber waren sie infolge der vielen – teils sehr schlimmen – Einzelschicksale immer präsent, beherrschten die Gedanken und die Gespräche der Geflüchteten und auch die Träume in der Nacht. Erst allmählich verblaßten sie und traten hinter neuen Eindrücken und Ereignissen zurück. In meinen Gedanken zum Jahresende 1945, in meinem damaligen Rückblick, den ich hier anschließend wiedergebe, beanspruchen die Geschehnisse des Krieges und der Flucht einen übergroßen Raum.
Gedanken am Jahresschluß 1945 im Internierungslager Ollerup auf Fünen: Der letzte Gongschlag verhallt. Wieder ist ein Jahr verklungen, ein Jahr, das keine freudigen Erinnerungen birgt, ein Jahr, das nie vergessen werden wird und dessen Geschehnisse sich tief in das Herz der Deutschen eingegraben haben.
Früh steigt die Dunkelheit hernieder und hüllt Stadt und Land in einen undurchsichtigen Schleier. Treckwagen rollen langsam und schwerfällig über Ostpreußens Straßen. Nur mühsam schleppen sich die erschöpften Menschen und Tiere vorwärts, denn der Schnee fällt dichter und dichter und bedeckt Straßen und Wege mit einer dicken weißen Schneedecke. Doch selbst die kältesten Januarnächte können dem Flüchtlingszug keinen Einhalt gebieten. Es muß vorwärts gehen, koste es was es wolle, denn hinter diesem endlosen Zug jagt der Krieg mit Tod und Schrecken und reißt hie und da eine Lücke. Stumme Zeugen an den Wegrändern erzählen von Tieffliegerangriffen, Artilleriebeschuß und dem Eisenhagel der Maschinengewehre...
Und weiter zieht die traurige Schar, übers Haff, das so vielen ein Grab geworden, durch Westpreußen und weiter, immer weiter. Pommern ist das Ziel, denn einmal muß dem Feind doch Einhalt geboten werden.
Wochen vergehen. – Über Westpreußens fruchtbare Felder tobt nun bitterster Kampf. Danzig, die alte schöne Hansestadt mit ihren uralten Wahrzeichen ist ein Flammenmeer. Immer mehr Flugzeuge kommen, bringen mit ihrer Verderben verursachenden Last Tod und Verwüstung. Auf den Straßen der Weichselniederung stauen sich die Fahrzeuge, die der Vernichtung entronnen sind. Doch auch hier sollen sie keine Ruhe haben. Unablässig kreisen Tiefflieger über den so engen Raum und bestreuen Straßen und Wege mit einem Eisenhagel. – Ja, klein und eng ist der Raum, der nun so vielen Heimatlosen Unterkunft gewähren soll, und täglich kommen mehr hinzu. Abends, wenn die Dämmerung herniedersinkt, sieht man ringsum Fackel um Fackel aufleuchten. Wieder sind einige ihrer ganzen Habe beraubt und obdachlos geworden.
Der Feind drängt mehr und mehr. Unsere kleine, wenn auch kampferprobte Truppe wird ihn nicht mehr lange aufhalten können. Wie lange kann sie der Bevölkerung und den vielen Flüchtlingen noch Schutz gewähren?
Es ist der 18. April 1945. Am Weichselufer lagert eine unabsehbare Menschenmenge und wartet auf den Abtransport. Sie alle, die schon einen Tag und die Nacht wartend und frierend im Freien verbracht haben, sind Flüchtlinge geworden. Es war kein leichter Entschluß, die Heimat zu verlassen, in der schon die Urväter lebten, arbeiteten und zu Wohlstand kamen. Jetzt gibt es kein Zurück, und in den ersten Abendstunden verläßt Schiff auf Schiff den Heimathafen. Zunächst geht es nach Hela und von dort aus weiter und weiter. Wohin, das weiß niemand, und es ist ja auch alles so gleichgültig. Nur Ruhe haben vor der Angst und Hetze der letzten Wochen und Monate.
Sturm und Regen machen einen zweitägigen Aufenthalt auf der Halbinsel Hela erforderlich... Hela, seit Wochen Verladungshafen zahlloser Flüchtlinge und Verwundeter, bietet ein trauriges Bild. In zugigen Baracken und durch Fliegerangriffe beschädigten Häusern kauern Flüchtlinge und Verwundete auf dem Fußboden und warten seit Tagen auf den Weitertransport. Die Verwundeten konnten nur notdürftig verbunden werden, denn es war ja kaum noch Verbandsmaterial vorhanden, und für ihre peinigenden Schmerzen gibt es keine Linderung.
An einem trüben Aprilmorgen sieht man eine kleine Flotte in See stechen. Stolze Schiffe, die einst der Tummelplatz einer bunten, lebenslustigen Menschenmange waren, tragen jetzt eine schwere Last, junge Menschen, kaum den Kinderschuhen entwachsen, die schon Furchtbares erleben mußten, sowie Mütter mit ihren Kindern und Greise. Am folgenden Nachmittag laufen die Schiffe in Kopenhagen ein und werden am darauffolgenden Abend ausgeladen. Die Nacht wird im Personenzug auf dem Bahnhof verbracht, und erst in den Mittagsstunden des nächsten Tages setzt sich der Zug langsam in Bewegung.
In Dänemark ist bereits der Frühling eingekehrt, und die Fahrt geht durch blühende Landschaften und grünende Wälder. Mit verwunderten Augen schauen alle, die in den letzten Wochen nur Trümmer und Zerstörungen gesehen haben, auf die liebliche Landschaft mit ihren schmucken Häusern und den blühenden Gärten. In Korsör wird ein Fährschiff bestiegen und in zweistündiger Fahrt wird Nyborg erreicht. Die Weiterfahrt kann erst abends fortgesetzt werden. Durch das eintönige Rütteln der Viehwagen sind viele eingeschlafen. Da, ein Ruck – der Zug hält. Hier und da reibt sich jemand den Schlaf aus den Augen und dann wird in Marschkolonne angetreten. Der Weg führt durch ein schmuckes Dorf, dessen Wege von blühenden Hecken umsäumt sind. Alles atmet Frieden und Stille aus. Es ist in den ersten Morgenstunden des 24. April, und nirgends regt sich ein Mensch oder Tier. Nach kurzem Marsch ist das Ziel erreicht. Eine dänische Haushaltsschule auf Fünen soll für einige Wochen Flüchtlingsheim werden. Die Schulzimmer blitzen vor Sauberkeit, und man kann sich getrost auf dem Fußboden ausstrecken. Es dauert auch nicht lange, dann ist alles eingeschlafen.
Helles Vogelgezwitscher begrüßt die erschöpften Schläfer beim Erwachen. Es ist bald Mittag, und die Sonne steht bereits hoch am Himmel. Nach Erledigung aller Formalitäten geht es hinaus ins Freie. Auf einem großen Sportplatz sieht man die Jugend bald ein Sonnenbad nehmen. Abends legt sich dann jeder in das frischaufgeschüttete Stroh und schläft. Ein Ausruhen tut diesen erschöpften Menschen, die in den letzten Wochen und Monaten übergroße Anstrengungen und Strapazen überstehen mußten, bitter nötig, und kein Fliegeralarm oder Beschuß unterbricht die friedliche Stille.
So vergeht ein Tag nach dem andern. Es kommt der Tag, der die Nachricht von Deutschlands bedingungsloser Kapitulation in das stille Dorf trägt. Dänische Freiheitskämpfer werden aufgerufen und bewachen von nun an die Schule. Es darf kein Flüchtling den Schulhof verlassen, und das tägliche Leben spielt sich nun auf engstem Raume ab.
Wieder vergehen Wochen. Am 17.Mai sieht man Feuerwehrwagen herankommen. Ein Teil der Flüchtlinge steigt in die bereitstehenden Wagen, die anderen marschieren unter dänischer Bewachung einem neuen Lager zu. Nach mehrstündigem Fußmarsch weisen diese auf eine große Sportschule mit riesigen Hallen und weiten Sportanlagen. Das Ziel ist erreicht. – Damals ahnte noch niemand, daß diese Schule (Ollerup auf Fünen) für einige tausend Flüchtlinge so lange Heimat werden sollte.
Bald beginnt auch hier das einförmige, täglich sich wiederholende Flüchtlingsleben. Die Hoffnung, recht bald in die Heimat zurückzukehren, ist geringer geworden, und doch ist sie der einzige Halt in diesem grauen Alltag. Eine Woche reiht sich an die andere, ein Monat nach dem andern vergeht. Es kommen schöne warme Sommertage, und die Rasen- und Sportplätze sind tagsüber voller sonnenhungriger Menschen. Der Herbst zieht ins Land und färbt Baum und Strauch mit seinen prächtigen Farben. Langsam fallen die Blätter, spielen im Wind und lassen sich forttragen. Manch sehnsüchtiger Blick schaut ihnen nach. Ringsum nur Grenzen, Zäune und Stacheldraht. – Und man ist doch noch so jung und an die Weite der heimatlichen Landschaft gewöhnt. Fest hallt der Schritt des bewaffneten Postens: Interniert!-
Das Weihnachtsfest rückt heran und mit ihm werden Heimweh und Sehnsucht immer größer. Doch man darf sich ja nicht unterkriegen lassen, und das Weihnachtsfest geht still und ernst vorüber.
Das alte Jahr will sich verabschieden, und noch immer ist das Lager voller Flüchtlinge, denen das Jahr nur Kummer, Leid und Bitternis gebracht, doch eines hat es ihnen nicht nehmen können: die Hoffnung auf die Heimkehr und den Glauben an eine bessere, schönere Zukunft..
Als ich jetzt, mehr als 50 Jahre „danach„ meinen damaligen Bericht las, wurde ich auch mit meiner Betroffenheit - damals 21jährig - konfrontiert, aber auch mit meiner damaligen Empfindsamkeit und Flexibilität. Der Schilderung des „furchtbaren Erlebens„ folgte chronologisch und nur wenige Sätze später die Feststellung: „In Dänemark ist der Frühling eingekehrt, und die Fahrt geht durch blühende Landschaften und grünende Wälder„ – und kurz danach, auf dem Weg zum Flüchtlingslager: „Der Weg führt durch ein schmuckes Dorf, dessen Wege von blühenden Hecken umsäumt sind. Alles atmet Frieden und Stille aus.„ Ein junger, gesunder Mensch kann scheinbar das „Schreckliche„ sehr schnell verdrängen, wenn er dem „Schönen„ begegnet, z.B. für die Schönheit der Natur aufgeschlossen ist.
Noch etwas fiel mir auf: Das „Warten„ auf die Heimkehr und die „Hoffnung„ auf die Zukunft – Belastung und Entlastung im Internierungsalltag.
Belastungen
Es war vor allem der Verlust der Freiheit, das E i n g e s p e r r t s e i n , das ich als starke Belastung empfand, besonders, weil niemand wußte, wie lange die Internierung dauern würde. Dennoch – als eine "verlorene Zeit„ kann ich die Jahre der Internierung in Dänemark aus der heutigen Perspektive nicht bezeichnen. Ich habe lediglich Zeit verloren, Zeit, die ich für meine Berufsausbildung hätte nutzen wollen. Offen bleibt jedoch, ob ich sie auch hätte nutzen können.
Besonders belastend empfand ich das W a r t e n , warten auf die Heimkehr, die wir, zunächst von jeglicher Information abgeschnitten, zumindest in der ersten Zeit der Internierung noch für möglich hielten. Als wir schließlich erkannten, daß uns eine Rückkehr in die bisherige Heimat für alle Zeit verwehrt war, stellten wir uns gedanklich auf ein neues Zuhause ein, auf ein Zuhause im nun geteilten Deutschland, das zumeist dort war, wo bereits Familienangehörige oder Freunde Raum gefunden bzw. wo sie vermutet wurden.
Ich hatte ein solches Zuhause nicht in Aussicht, aber Existenzsorgen oder gar Existenzängste, von denen vor allem die Älteren betroffen wurden und wohl auch diejenigen Frauen, die Kinder zu versorgen hatten, blieben mir erspart, nicht jedoch das oft zermürbende Warten.
Warten auf die Freiheit, warten auf die Rückkehr nach Deutschland, es war ein Warten, das immer wieder auch Resignation zuließ, aber auch durch die Hoffnung überlagert wurde. Ich wartete, hoffte und vertraute auf die Zukunft..
Wie sehr das Warten, vielleicht auch die Ungewißheit unser Leben beeinflußte, zeigt ein Gedicht, das Agnes Miegel Weihnachten 1945 schrieb.

Weihnachten im fremden Land
Von Heimat und Zuhaus verbannt!
Dir brennt kein Licht, du freust dich nicht,
Du mußt nur immer warten!
Und es ist schwer und es ist hart
Dies eine kleine Wörtchen „wart!„ Halt aus!
Ein Wort nur wär unsagbar schwer:
„Nimmermehr!„

Warten – das bezog sich auch auf Informationen und Nachrichten, vor allem auf Lebenszeichen von Angehörigen und Freunden, auf die Post. Erst nach Jahresbeginn 1946 entwickelte sich ein zögernder Postverkehr. Sogenannte ‚Such-Postkarten‘ wurden an die Internierten ausgegeben. Es dauerte allerdings oft Monate bis Antworten eintrafen und ihr Inhalt brachte sowohl Freude und Erleichterung als auch Trauer und Leid. Viele erfuhren erst jetzt, daß sie in den letzten Kriegsmonaten, aber mitunter auch noch nach Kriegsende Witwen oder Waisen geworden waren, Kinder oder Geschwister verloren hatten. Ein Gedicht aus dieser Zeit, dessen Verfasser mir heute nicht mehr bekannt ist, beschreibt sehr treffend „Die erste Post„ im Internierungslager.

Banges Sehnen, heimliches Hoffen,
Ist unser Brieflein daheim eingetroffen,
Hat es die Lieben daheim wohl gefunden? –
Dies zu bedenken gibt manch trübe Stunden.
Lange sind wir von zu Hause schon fort,
Rastlos gewandert von Ort zu Ort.
Nirgends fanden wir Ruhe und Rast. –
Jetzt sind wir hier ungebetener Gast.
Doch endlich schien sich das Schwerste zu wenden,
Ein Brieflein konnt jeder zur Heimat senden.
Und wer da hatte das große Glück,
Hat die Antwort darauf schon wieder zurück.
Für manchen brachte es bitteres Leiden,
Für jene wiederum kleinere Freuden.
Denn sehr verschieden ist das Geschick. –
Und doch möchte jeder wieder zurück.
So warten wir weiter, Tag für Tag.
Gibt’s heute Post?, ist die große Frag‘. –
Doch für heute ist wieder nichts dabei.
So warten wir morgen ... täglich aufs neu.
Impressionen des Lagerlebens in Dänemark
Für junge Menschen kann das Lagerleben, ein Leben in Gemeinschaft ganz reizvoll, vielleicht auch lehrreich sein, für die Älteren und Alten ist es zumeist recht belastend. Natürlich kommt es auch auf die Bedingungen, die Atmosphäre und auf die in der Gemeinschaft lebenden Menschen an.
Wir brauchten uns um all diese Voraussetzungen, die für die Sicherung eines Wohlbefindens sorgsam überdacht sein wollen, nicht zu kümmern. Als wir bei unserer Ankunft in Dänemark das erste Strohlager in der Haushaltsschule auf Fünen bezogen, fanden wir es nahezu paradiesisch, zumal wir dem Krieg und vielleicht auch der Vernichtung entkommen waren, und das blieb auch so bis wir ins nächste Internierungslager übersiedelten.
Unser nächstes Domizil, eine Sportschule in Ollerup (Fünen), hatte bereits der deutschen Wehrmacht während der Besatzungszeit Platz einräumen müssen, und so bezogen wir sozusagen im Wechsel die gerade leer gewordenen Betten, worin die zurückgebliebenen Wanzen die Neuankömmlinge freudestrahlend begrüßten. Auf Bettwäsche mußten wir weiterhin bis zur Heimkehr nach Deutschland verzichten, aber die Gewöhnung an die piekenden Strohsäcke war weniger schwierig als die an die aggressiven Wanzen, die sich zudem von dem Dach der Turnhalle, in der wir mehr als ein Jahr lebten, auf die Schläfer abzuseilen pflegten. Nacht für Nacht begab ich mich in den Waschraum im Keller, wartete bis die dort wohnenden Ratten das Weite gesucht hatten, und schüttelte Decke und Schlafanzug aus, in dessen flickenbesetzten Teilen sich die Plagegeister versteckt oder auch nur verirrt hatten.
Ich hatte mit einigen hundert Flüchtlingen die Turnhalle beziehen müssen. Alle Generationen und Altersklassen waren hier vertreten, und die Vokabeln „Einsamkeit„ oder „Isolierung„, die uns heute so erschrecken, hätten wir damals eher positiv gewertet. Wer allein sein wollte, mußte sich in sein (mehrstöckiges) Bett zurückziehen und hatte dort nur je einen unmittelbaren Nachbarn: seitlich, sowie am Kopf- und Fußende.
Die riesige Halle war in Boxen aufgeteilt. Lange Reihen von Wehrmachtsspinden bildeten die Wände und ließen jeweils Lücken für die erforderlichen Durchgänge zu den Boxen frei, die mit Decken, Säcken bzw. anderen textilähnlichen Vorhängen geschlossen wurden. Besuch von draußen durfte erst nach sehr lautem Klopfen an einen der Schränke eintreten, wobei die „Tür„ vorsichtig gelüftet werden mußte. Der ständige Geräuschpegel in der Halle, verursacht durch die vielen Stimmen, erforderte besondere Bedingungen.
Wir waren in unserer „Box Nr.3„ 14 Personen, etwa zwischen 15 und 50 Jahre alt, überwiegend jedoch „um die Zwanzig„, und haben die 14 Monate der dortigen Internierung recht harmonisch und auch relativ „kultiviert„ miteinander verbracht. In der ersten Zeit hatten sich die männlichen Mitbewohner unserer Box zur Demonstration ihrer Galanterie entschlossen und pflegte jeder Dame vor dem Einschlafen per Handschlag und geziemender Verbeugung eine „gute Nacht„ zu wünschen. Die allabendliche Prozession der mit langen (fast) weißen Unterhosen bekleideten Gestalten (Gerd, der junge Musiker vom Danziger Staatstheater, Herr Keller, der Kunstmaler und Onkel Bruno, der Landwirt) beeindruckte uns sehr, während Lottchen, die Professorengattin und Gutsbesitzerin, einem Schwächeanfall nahe schien, als man angesichts ihrer gesellschaftlichen Position auch noch einen Handkuß für erforderlich hielt. Schon bald mußten wir allerdings auf diese imponierende Abendvorstellung verzichten, zumal auch die einst weißen Unterhosen infolge kontinuierlicher Ergrauung nicht mehr öffentlich einsetzbar waren.

Wäsche und Bekleidung: Reinigung und Pflege
Jeder Familie bzw. zusammengefaßten Personengruppe stand wöchentlich ein Eimer heißes Wasser, angereichert mit etwas Soda, für Körperpflege und Wäsche zur Verfügung, wobei es im Ermessen der Beteiligten lag, in welcher Reihenfolge die Säuberung vollzogen wurde und natürlich auch, wer zuerst dran war und folglich das noch saubere Wasser nutzen durfte. Ähnlich ging es beim Dusch-Tag zu. Jede Familie oder Gruppe durfte in längeren Zeitabständen für einige Minuten den Duschraum benutzen. Die Jugend baute diesen Akt bis zur Perfektion aus und nutzte in 2-3facher Gruppenzahl den engen Raum in der vorgeschriebenen Zeit, indem jeweils einer den andern in kurzer Frist kräftig abschrubbte.
Die nasse Wäsche wurde u.a. auf Büschen und Zäunen getrocknet und die Garderobe nachts auf dem Strohsack ausgebreitet und mittels eigener Körperwärme (soweit ausreichend vorhanden) „gebügelt„. Als wir im zweiten Abschnitt der Internierung in Nordjütland in Baracken wohnten, leistete uns das Ofenrohr den Bügeldienst, vorausgesetzt der Torf war trocken und stand auch zur Verfügung.
Im 2. und 3. Internierungsjahr war unsere Kleidung überwiegend aufgebraucht und erfüllte nur noch unzureichend den vorgesehenen Zweck. Aus Wehrmachtsbeständen wurden Hosen und Uniformjacken verteilt. Ich erhielt eine blaue Marinejacke, die allerdings erst „passend„ gemacht werden mußte. Im ganzen Lager wurde gezeichnet, entworfen, zugeschnitten und geschneidert. Das Nähgarn wurde sorgfältig aus den aufgetrennten Nähten gewonnen, reichte allerdings nicht für die Neuanfertigung. Diesmal war die Dänische Kommandantur hilfreich. Sie organisierte einige Rollen Nähgarn, befestigte diese auf einem Fensterbrett und teilte jeder Familie bzw. Gruppe ein winzig-kleines Pappkärtchen zum Garnaufwickeln zu. Das Folgende war nahezu olympiareif: Jede Gruppe schickte einen Wickler ihres Vertrauens ins Rennen. Wir standen in langen Reihen an, die Blicke konzentriert und engagiert auf die Garnrollen gerichtet. Auf ein entsprechendes Kommando stürzten wir uns - wenn auch im geziemenden Abstand – auf die begehrte Rolle und wickelten so schnell wir konnten. Es war ein fairer Wettkampf für die Vollendung unserer Jacken und Hosen, der allerdings nur wenige Minuten währte. Die Dänen zeigten Verständnis und standen einer alten Frau zwei Garn-Wickelzeiten zu. Die begehrten Kleidungsstücke konnten nun genäht werden, zumal die knappen Nähnadeln gegenseitig ausgeliehen wurden.
Eines der wichtigsten Themen: Die Ernährung
Anders als in vielen Teilen Nachkriegsdeutschlands haben wir in den dänischen Internierungslagern nicht gehungert. Wir erhielten natürlich Massenverpflegung, die anfangs aus zurückgelassenen Beständen der deutschen Wehrmacht produziert wurde. Je nach der Einstellung der dänischen Lagerleitung kamen die Erzeugnisse ihres Landes in unter-chiedlichen Qualitäten und auch Quantitäten in den einzelnen Lagern zum Einsatz und damit in unsere Kochtöpfe bzw. Eßgeschirre. Ich erinnere mich noch deutlich an die „Blaue Periode„, deren Bezeichnung sich mit einer Graupensuppe bzw. getrockneten Kartoffeln verband, bei deren Zubereitung diese aparte Farbe entstand sowie an die viele Wochen währende Kohlrübenzeit, in der uns ausnahmslos diese leider vom Frost geschädigten Produkte des Landes serviert wurden. Etwas Positives ist ihnen allerdings nicht abzusprechen: unserer Gesundheit haben sie meines Wissens nicht geschadet, und niemand hat zuviel gegessen.
Ein schmackhaftes Essen war in unserem Speiseplan nicht vorgesehen und wohl auch nicht erreichbar. Schließlich lebte die dänische Bevölkerung damals auch nicht im Überfluß und hatte ihren Vorkriegsstandard wohl kaum schon erreicht. Sehr gut mundete uns das dänische Brot, das täglich zugeteilt wurde und oft sofort nach Empfang verspeist wurde. M.E. wurden wir – quantitativ betrachtet - ausreichend ernährt, waren aber nie satt und dachten und redeten oft von nicht erreichbaren Genüssen, die wir uns vorstellten. Sicher lag dies auch daran, daß wir - bis auf wenige bzw. zeitweilige Ausnahmen – ohne Aufgaben und ohne Beschäftigung waren.
Wie haben wir die Zeit verbracht?
Natürlich mußte das Lager in Ordnung gehalten, gereinigt und gepflegt werden. Eine entsprechende Organisation seitens der Lagerleitung trug dafür Sorge. So erforderte beispielsweise der Küchendienst eine regelmäßige Hilfe der Internierten, die auch gerne geleistet wurde, weil hier ein „Zubrot„ erhofft wurde. Es kam auch vor, daß von außerhalb des Lagers Hilfe angefordert wurde, z.B. in der Kartoffelernte. Das war jedoch selten der Fall, weil hierfür Wachpersonal abgestellt werden mußte.
Ich erinnere mich, daß ich mich zu Beginn der Internierungszeit einmal freiwillig zum Außendienst gemeldet habe als Putzfrauen angefordert wurden. Jemand lieh mir ein Kopftuch und Schürze. Unter starker Bewachung wurden wir zum nahen Schloß geführt, das vom Keller bis zum Dachboden gründlich gesäubert werden sollte. Ein Erfolg war diese Aktion, wie sich herausstellte, allerdings nicht, denn die des Putzens Kundigen hatten sich aus Angst vor der mit Maschinengewehren versehenen Begleitung nicht gemeldet, und die angetretene Gruppe der jugendlichen Pseudo-Putzfrauen hatten anderes im Sinne. Ich hatte einen Fluchtweg nach Deutschland auskundschaften wollen, aber dazu kam es nicht. Als im Schloßpark Panzer (angeblich russische) auftauchten, stob die tapfere Putztruppe schreiend auseinander und suchte anstelle der Freiheit nur Schutz bei den bewehrten Bewachern.
Auch die Reinigung des Schlosses ließ einiges zu wünschen übrig. Die dänischen Reinigungsmittel waren uns fremd, und jeder von uns machte (obwohl der Sprache unkundig) in allerbester Absicht allzu reichlich davon Gebrauch. Ich erwischte eine Dose ATA - ähnlicher Substanz, schüttete ihren Inhalt in meinen halbgefüllten Wassereimer und schrubbte damit in der richtigen Reihenfolge zuerst die Fenster und Türen sowie den kostbaren aus edlem Material gefertigten Ofen, bevor ich mit dem verbliebenen Rest dem Parkett etwas Gutes antun wollte. Weshalb anschließend alles mit einem Grauschimmer versehen war, konnte sich auch der inspizierende Schloßherr nicht erklären. –
Bald nach Beginn der Internierung wurden Schulen eingerichtet. Es gab zwar weder Bücher noch Papier und Stifte, aber die geflüchteten Lehrer und Lehrerinnen waren einfallsreich und gaben ihr Bestes. Ich hatte mich mit einer Volksschullehrerin angefreundet und half ihr zuweilen beim Entwerfen und Vorbereiten von Lehrmaterial für die Erstklässler. Jedes auffindbare Blatt Papier wurde dafür konfisziert, um - entsprechend bemalt – als Anschauungsmaterial zu dienen oder zum Üben genutzt zu werden. So konnte wenigstens etwas Wissen vermittelt werden - ausreichend war es nicht.
Die kleineren Kinder hatten teils wenig Erinnerung an die Welt außerhalb der Lagerzäune. Ihre Welt wurde das Internierungslager mit seinen besonderen bzw. eingeschränkten Bedingungen und Möglichkeiten. Sie konnten nur einen Ausschnitt aus dem „richtigen„ Leben kennenlernen. Es gab z.B. keine Tiere im Lager. Nur die Vögel besuchten uns, Insekten und Käfer spazierten herum. Andere Tiere kannten die Kleinen vielleicht aus dem einen oder anderen Bilderbuch, das die Flucht überstanden hatte bzw. aus den Zeichnungen der Erwachsenen oder ihrer Lehrer. Als ein kleines Mädchen (Tochter eines Lehrers) im 3. Internierungsjahr einen Schweinestall besichtigen durfte, war es besonders beeindruckt, weil die Schweine „ganz nackt„ herumliefen. Welche Bekleidung sich das Kind für sie vorgestellt hatte, blieb uns verborgen.
Die Erwachsenen trafen sich vor allem in Literaturkreisen, Fremdsprachengruppen, zum Kartenspielen, zum gemeinsamen Singen und Musizieren und auch im Kirchenchor. Es waren im Lager die Angehörigen der verschiedensten Berufe vertreten, die sich – wenn möglich – auch gern engagierten. Ein weiß-russischer Arzt vermittelte mir z.B. russische Sprachkenntnisse.
Im Barackenlager ‚Knivholt‘ in Nordjütland
Im Internierungsalltag ist jede Abwechslung willkommen, vor allem, wenn eine positive Veränderung erwartet wird. Als wir im Sommer 1946 wieder einmal unser Bündel schnüren mußten, hofften wir, daß es nun heimwärts ginge. Zwar waren wir etwas befremdet, daß der Zug, den wir bestiegen, fest verschlossen wurde und unsere Bewacher die Trittbretter besetzten, aber daß man uns fast „am Ende der Welt„ aussetzen würde, machte uns sehr betroffen.
Unser Ziel lag im Norden Dänemarks bei Frederikshavn. Hier hatte sich ein deutscher Flugplatz befunden. Das dazugehörige Barackenlager war noch intakt und sollte die deutschen Flüchtlinge aus den belegten Schulen zusammenführen, damit diese wieder für die dänischen Schüler verfügbar waren. Schließlich hatte Dänemark schon viel zu lange auf diese Schulen verzichten müssen.
Das Barackenlager ‚Knivholt‘ war bereits bei unser Ankunft mit meterhohen Stacheldrahtzäunen und Wachtürmen gesichert, und am Eingangstor verhieß das von Wachmannschaften besetzte Schilderhäuschen „beschütztes Wohnen„. An einen Ausbruch war nicht zu denken, das bestätigte bereits die erste Ortsbesichtigung. Die Baracken selbst boten uns einen ungewohnten Komfort: Nur etwa 24 Personen durften sich den Raum mit den doppelstöckigen Betten teilen. Die passenden Mitbewohner waren schnell gefunden, und die erste Inspektion ergab: keine Wanzen im Hinterhalt oder gar im Anmarsch! Ein kleiner Ofen in der Mitte des Raumes versprach Behaglichkeit, die wir so lange vermißt hatten, und die Fensterläden verhießen u.a. Schutz vor Kälte und Sicherung einer gewissen Intimität der Bewohnergruppe.
Das tägliche Lagerleben in Nordjütland unterschied sich im übrigen nur wenig von den bisherigen Aufenthalten der Internierten. Als allerdings der Winter näher rückte, wurde es in den Holzbaracken empfindlich kalt. Unser Öfchen tat was es konnte, aber der widerspenstige Torf, der knapp zugemessen vor jeder Haustür lagerte, hatte noch viel Nässe gespeichert und trat in den Streik. Anders der Frost, der bald durch die dünnen Wände eindrang und sich selbst in der Nähe des Ofens niederließ. Wir trauten uns kaum noch aus den Betten, zumal sich an Händen und Füßen schmerzhafte Frostbeulen abzuzeichnen begannen. Es mußte etwas geschehen – und es geschah, wenn auch nahezu „gespenstisch„.
Eines Tages rollten einige Lastwagen mit Möbeln über die Lagerstraßen. Als sie etwas später ausgeladen werden sollten, waren sie bereits leer. Trotz sofortiger Großfahndung im Lager ergab sich keine Spur. In der folgenden Nacht bekamen die Zaunpfähle des Lagerzaunes Beine, befreiten sich fein säuberlich vom Stacheldraht und wurden nie mehr gesehen. Ich wurde wach, als ein besonders korpulenter Pfahl unter meinem Bett Platz nahm. Beteiligt war ich an der rein weiblichen Initiative nicht, denn mutig war ich eher in der Theorie, aber ich sang am frühen Morgen kräftig mit, um die unumgänglichen Sägegeräusche zu übertönen, bevor unser Öfchen das Ergebnis der kühnen Tat in Rauch auflöste.- In dieser Nacht verschwand auch das Schilderhäuschen am Eingang des Lagers und ist nie wiedergefunden worden, was den diensthabenden Wachmann am meisten hätte verwundern sollen. Hausdurchsuchungen fanden statt, Belohnungen wurden ausgesetzt, seitens des Lagerkommandanten sogar den Schuldigen Straffreiheit zugesichert, doch alle Beteiligten (und auch die Unbeteiligten) hielten dicht. Der „Spuk„ wurde nie aufgeklärt.
Die hier bewiesene kameradschaftliche Verbundenheit der deutschen LagerbewohnerInnen hinderte diese allerdings nicht, sich bei der nächsten erforderlich werdenden Heizmaterialbeschaffung an den Fensterläden der Nachbarn zu vergreifen. Schließlich waren sogar unser aller Türen in Gefahr, sich in Rauch aufzulösen. Wir stellten Wachen aus, befestigten vor allem unsere so kostbare Tür so gut es eben ging und haben so unsere komplette Behausung heil über den Winter gerettet.
Zu ernsthaften Auseinandersetzungen kam es übrigens meines Wissens zwischen den Beraubten und den RäuberInnen nicht, schließlich waren es Not-Maßnahmen und vielleicht sogar als „lebensrettend„ entschuldbar.

Schlußbetrachtung
Den nächsten Winter habe ich bereits in Deutschland, in einem Studentenheim in Münster i.W., das aus einer zerbombten Kaserne entstanden war, verlebt. Die „Eingewöhnung„ war gar nicht schwierig, denn auch hier war das Heizmaterial noch knapp und rationiert, und ich schlief in einem Bett, dessen Füße aus den Ziegelsteinen des zertrümmerten Gebäudeflügels bestanden. Den Strohsack habe ich eigenhändig gefüllt, und ich schlief in richtiger Bettwäsche und einem Nachthemd, das aus einem Unterrock von Frau Professor Müller aus Dresden eilends für mich geschneidert worden war. Meine Bettnachbarin Brigitte, mit der ich noch heute befreundet bin, hatte es von ihrer Mutter für mich erbeten.
Es war eine karge, vielleicht sogar eine harte Zeit, die Zeit nach 1945, aber die Erfahrung der Internierung und der Neuanfang in Deutschland haben mich gelehrt und auch befähigt, mit Schwierigkeiten umzugehen. Ob ich sie immer gemeistert habe, kann ich nicht ermessen, und es ist mir auch nicht wichtig, denn letztendlich habe ich in diesen Jahren und auch durch das Leben in dieser Zeit vieles gewonnen, vor allem das Rüstzeug für ein positives und erfülltes Leben, das soviel reicher ist als dasjenige, das ich in schwerer Zeit durchstand und neu begann.
Und ich habe eine Hilfe erfahren, die ich nie erhalten hätte, wenn ich nicht in die Lage gekommen wäre, ihrer zu bedürfen. Diese Hilfe kann ich heute zurückgeben, wenn auch sicher nicht in dem Maße, in dem sie mir zuteil wurde.
Ich habe Freunde gewonnen in schwieriger Zeit und ich habe sie behalten dürfen – bis jetzt - angesichts meiner immer mehr ablaufenden Zeit.
Wenn ich die Jahre nach 1945 bedenke, die sich inzwischen zu mehr als fünf Jahrzehnten meines Lebens summiert haben, dann empfinde ich sie vor allem auch als eine Zeit, in der aus anfänglichen Verlusten Gewinne erwachsen sind – man muß sie nur als solche erkennen und nutzen.
Hildegard Neufeld, Bad Homburg, Mai 2000
Nobert
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4. Das Lagerleben in Dänemark
a.) Die historische Situation:
Mehr als 250.000 Flüchtlinge aus Ostpreußen, Westpreußen, Danzig und Pommern waren in den letzten Kriegsmonaten des Jahres 1945 über die Ostsee nach Dänemark gebracht worden und hatten dort in provisorischen Lagern Zuflucht gefunden. Sie wurden von der Wehrmacht in Liegenschaft aufgenommen. Das größte unter ihnen war Oksbøl (an der Westküste Dänemarks). Nach der Kapitulation der Wehrmacht im Mai 1945 übernahmen die Dänen das Lager und machten es zum größten Lager deutscher Flüchtlinge, in dem zeitweise über 36.000 Flüchtlinge untergebracht waren. Die Flüchtlinge hatte ihre eigene Selbstverwaltung mit Bürgermeister, Lagerpolizei, Schulen, einem kleinen Theater.
Es war sicher nicht einfach, nur das Existenzminimum der Flüchtlinge zu sichern und die Flüchtlinge vor Hunger und Kälte zu schützen. Die Haltung der Dänen gegenüber den Flüchtlingen wird dabei unterschiedlich beschrieben. Einerseits wird anerkannt, dass das Vier-Millionen-Volk der Dänen sich bemüht hat, nicht nur die 36.000 Flüchtlinge im Lager Oksbøl, sondern alle insgesamt 250.000 Flüchtlinge auf dänischem Boden so lange unter einigermaßen humanen Bedingungen über die Zeit zu bringen, bis sie in ihr Vaterland zurückkehren konnten. Trotz der großen Anstrengungen der Dänen, die Flüchtlinge bedarfsgerecht zu versorgen, starben viele, insbesondere auch Kinder und alte Menschen, an den Folgen der Strapazen der Flucht. So befinden sich heute auf dem Friedhof in Oksbøl die Gräber von 1675 Flüchtlingen, die im Lager gestorben sind sowie von 121 Soldaten.
Andere Stimmen[2] wiederum behaupten, dass es von Seiten der Dänen kein Verständnis für das Schicksal geflohener Frauen, alter Männer und Kinder gegeben hätte. Die Dänen hätten in ihnen weniger die dem Tod oder der Verschleppung entkommenen leidenden Mitmenschen gesehen, sondern Feinde. Deshalb sei in Oksbøl die Anzahl der dort begrabenen Kleinkinder und Säuglinge auf dem Flüchtlingsfriedhof unverhältnismäßig hoch. Die dänischen Ärzte hätten es verboten Flüchtlingen medizinische Hilfe in Krankenhäusern zu leisten, um so zu beweisen, dass Dänemark den Deutschen Widerstand geleistet habe. So seien Tausende von kleinen Kindern zum Opfer gefallen, die ohne weiteres hätten gerettet werden können.



b.) Der Erlebnisbericht
Im Lager Gedser auf der Insel Falster wurden Herta Gronau und ihre Verwandte rund um die Uhr von dänischem Militär bewacht. Das Lagerleben beschreibt sie alles andere als komfortabel. Zunächst lebten sie in einem Kuhstall hinter Stacheldraht. Für die Kinder wurde eine Schule eingerichtet. Das Rote Kreuz hängte Listen aus, über die man nach Verwandten in anderen Lagern suchen lassen konnte, so dass zumindest der quälende Frage nach deren Schicksal nachgegangen werden konnte. Das Lager war überfüllt, das Essen in der Anfangszeit außerordentlich knapp. Die hygienischen Verhältnisse waren völlig ungenügend. Viel Ungeziefer breitete sich in den überbelegten Baracken aus. Krankheiten brachen aus. Die Kleider mussten sie in dem salzigen Wasser der Ostsee waschen und dann im Stehen die Kleider über sich haltend trocknen. Viele ältere oder durch die Flucht geschwächte Menschen starben, weil es nicht genügend Mittel gab um sie zu verarzten. Manchmal fühlten sie sich wie in einem Konzentrationslager. Keiner konnte ihnen sagen, wann sie zurückkehren konnten. So hatten sie nicht viel Hoffnung.
Ab Weihnachten 1945 wurden die Flüchtlinge im alten Bahnhofsgebäude untergebracht, wo es etwas wärmer war. Im Frühjahr 1946 wurde Herta Gronau ihrer Mutter, ihrem Bruder und ihren beiden Neffen auf die Insel Lolland gebracht, wo sie in der Ortschaft Stubberupgard in 40 Jahre alten Baracken lebten. Aber bereits ein Jahr später, im Frühjahr 1947, ging es zurück nach Falster in ein Lager bei Hasselö. Aber bereits am 28. April 1947 kamen sie alle in das große Lager nach Oksbøl, wie aus der Aufenthaltsbescheinigung ihrer Mutter deutlich wird. (siehe Abbildung Nr. 10) mit der Registriernummer, hier „G 02286679“. Die Vorderseite ist unterzeichnet vom Bürgermeister der Flüchtlingsgemeinde Oksbøl. Auf der Rückseite (siehe Abbildung Nr.11) stehen neben dem Namen der Mutter auch die Namen ihrer Verwandten mitsamt den Registriernummern: die Nummer für Herta Gronau lautete „G 02286680“. Ferner findet sich ein Stempel des leitenden Lagerarztes, der bezeugt, dass sie frei von Läusen und ansteckenden Krankheiten waren Diese Aufenthaltsgenehmigung wurde am 23.11.1948 in Oksbøl erstellt, kurz vor dem Verlassen des Lagers.
Über das Verhalten der dänischen Behörden gegenüber den Flüchtlingen berichtet Herta Gronau unterschiedliches. Einerseits gesteht sie den Dänen große Anstrengungen zu, die Flüchtlinge bedarfsgerecht versorgt zu haben. Sie erinnert sich aber auch, dass hier viele, besonders Kinder und alte Menschen an den Folgen der Strapazen der Flucht, verstarben und auf einem großen Friedhof in Oksbøl beigesetzt wurden.
Die zusammen verbrachten Lagerjahre schweißten die Flüchtlinge auch zusammen. Das Poesiealbum, das sie bis heute aufbewahrt hat (siehe Anhang), zeigt viele Eindrücke aus dem Lagerleben der Flüchtlinge. Freunde und Freundinnen, die sie dort kennenlernte, schrieben ihr zur besonderen Anlässen schöne Gedichte und Sprüche hinein. Doch sie hatten nur sehr primitive Mittel zur Verfügung, denn sie hatten nur die Stifte, die sie von zu Hause mitbrachten oder die sie dort fanden. Außerdem bastelte man an Geburtstagen oder Konfirmationen Glückwunschkarten aus einem Blatt Papier, das aus einem Heft herausgerissen wurde, mit einem gemalten Muster und schöner Schrift darauf. Alles das sind Zeugnisse tiefer Verbundenheit zwischen den Flüchtlingen, die sich als Schicksalsgemeinschaft verstanden. Die Freundschaften, die in dem Lager geschlossen wurden waren so intensiv, dass Herta Gronau sogar heute noch Kontakt mit zwei Personen aus dem ersten Lager hat.
Am 22. November 1948 – kurz vor dem endgültigen Verlassen des Lagers, „um nach Deutschland zurückzukehren“, wie es das Zeugnis benennt - wurde Herta Gronau vom Bürgermeister der Flüchtlingsgemeinde Oksbøl auch ein Zeugnis ausgestellt (siehe Abbildung 10). Herta Gronau wird hier nur gelobt. Sie habe ihre Arbeitskraft zur Verfügung gestellt und sei vom 03.05.1948 bis zum 22.11.1948 als Schreibkraft bei der Blockfürsorgerin tätig gewesen. Sie habe ihre Arbeiten stets zufriedenstellend ausgeübt. Sie sei sehr freundlich gewesen und infolge dessen sehr geschätzt.
Ende 1948 verließen Herta Gronau und ihre Verwandten Dänemark und kamen nach Deutschland. Ihr Ziel war es ursprünglich, nach Lübeck zu gehen, wo Freunde und Bekannte untergekommen waren. Aber in Lübeck waren bereits viel zu viele Flüchtlinge. Die Möglichkeit, in der Sowjetischen Besatzungszone Aufnahme zu finden, kam für sie nicht in Betracht, da sie ja vor den Russen geflohen waren. So wählten sie die andere Alternative, die ihnen möglich war, nämlich die Französischen Besatzungszone in Südwestdeutschland.

[1] http://www.volksbund-sh.de/Jugend_und_Schule/Schule/Jugendbegegnung/jugendbegegnung.html
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