Wenn ich diesen Thread lese, dann empfinde ich mal wieder "zwei Lager", die auch kaum ein Interesse haben, sich aneinander anzunähern oder anderes herum, den Grundgedanken der Unterschriftenaktion aus Sicht der Betroffenen zu verstehen. Ich habe keine Zahlen und bin auch kein Betriebswirtschaftler, für die Belange der Betroffenen ist das mit Verlaub auch bis zu einem gewissen Grade zu vernachlässigen.
Das "Kontra-Lager" argumentiert hier doch lediglich mit der Sicht, ist halt zu teuer, sind bloß 40.00 Einwohner, die haben doch eine Fähre, also reicht das.
Ja, diese Sicht kenne ich mittlerweile aus der Betriebsführung vieler Betriebe, die leider nur die Zahlen sehen und nicht die langfristigen Konsequenzen - für die Menschen bzw. auch für die Folgekosten.
Bornholm ist nun mal eine Insel, die historisch diverse Landesherren hatte, geographisch näher an Schweden, Deutschland und sogar Polen liegt, als an Dänemark. Nun gehört sie aber schon ein paar Jahre zu Dänemark und wird - so ich den Ergebnissen des Verkehrsvertrages folgen kann - eher als ungeliebtes Kind "weit weg" betrachtet. Ein Vergleich mit anderen Inseln hinkt immer ziemlich durch die weite Entfernung zum Mutter(fest)land.
Bornholm hat wenig Infrastruktur zu bieten, Fischerei trägt sich kaum noch, Industrie und Bodenschätze gibt es (glücklicherweise für uns Urlauber) nicht auf der Insel, wenn wir von ein paar Steinbrüchen mal absehen, die mittlerweile auch fast alle geschlossen sind.
Neben der Landwirtschaft (dort wird versucht, die Produkte über ökologische Landwirtschaft wertiger zu machen und einen Markt zu erlangen) und der Forstwirtschaft ist eigentlich nur der Tourismus der Wirtschaftsfaktor für die Insel. Viele Bornholmer arbeiten schon auf dem Festland und pendeln regelmäßig, viele sind auch nur am Wochenende auf der Insel und haben eine Zweitwohnung während der Woche in der Nähe des Arbeitsplatzes. Um die Attraktivität der Insel für berufstätige (steuerzahlende) Dänen zu erhalten und die Überalterung / Bevölkerungsrückgang aufzuhalten, ist also ein Signal vom Staat gefordert, dass sie zu ihren Insulanern stehen und die Verkehrswege sicher und attraktiv erhalten.
Manchmal ist ein Projekt eben defizitär (wie übrigens fast jeder Personen-Nahverkehr, trotz ständiger Preiserhöhungen), der Wegfall könnte die Folgekosten aber noch viel stärker explodieren lassen. Ich bin kein Betriebswirtschaftler, in meinem Umfeld habe ich aber selbst erlebt, wie die Spirale von mangelnden Investitionen, sinkender Attraktivität, fehlenden Einnahmen und noch weniger Investitionen letztendlich zum Untergang führt. Schuld hat dann übrigens stets nicht die Betriebsführung, sondern das Ausbleiben der Kundschaft oder natürlich das Personal.
Nach meinem Verständnis geht es weniger um die Sassnitz-Route, sondern viel mehr um eine sichere (wetterfeste) konventionelle Fähre, die dringend vorhanden sein muss. Im Sommer gibt es fast keine Ausfälle durch schlechtes Wetter - höchstens regelmäßige Motorschäden bei den störanfälligen Katamaranen. Die sichere Fähre ist also in erster Linie in stürmischen Monaten gefragt. Zum Thema der ärztlichen Spezialversorgung: Auch das ist ein Argument für das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. Natürlich hat Bornholm ein grundversorgendes Krankenhaus, auch eine Dialyse. Aber wie es mit einer Koronarangiographie aussieht? Na, ich hätte im Fall des Falles schon gerne schnell eine Coro...
Natürlich werden auch ohne Sassnitz-Fähre weiter Urlauber nach Bornholm kommen, nach dem Wegfall der Travemünde-Trelleborg Verbindung und den Grenzschikanen der DDR sind wir viele Jahre mit viel Zeitverlust trotzdem über Schweden gefahren. Vielleicht kommen dann mehr Dänen, Schweden oder Norweger nach Bornholm? Aber die neu erschlossenen Märkte in Polen und im östlichen Deutschland werden sicherlich wieder abbröckeln.
Als Sommer-Tourist habe ich bei den Preisen der Hauptsaison übrigens nicht das Gefühl, dass ich unwahrscheinlich subventioniert werde.

Sehr hohe Preise, auf Monate ausgebuchte Fähren, Autos eng an eng gestapelt... In der Nebensaison ist die Verbindung sicherlich defizitär, da ist das Autodeck schon mal sehr übersichtlich.
Aber: Wenn für die stürmischen Monate eine Ersatzfähre bereitsteht, dann könnte diese Fähre in den "sicheren Sommermonaten" natürlich den Urlauberanstrom via Sassnitz mit erledigen und damit nicht nutzlos im Hafen liegen. Mit dem Kompromiss, dass die Route kostendeckend zwischen Ende Mai bis Mitte September bedient wird, ist der Einbruch bei den lukrativen Buchungen sicherlich deutlich geringer. Der Stichtag 2017 für die Zwangs-Außerdienststellung ist ja schon länger bekannt und so mancher wird das Gefühl haben, dass das Problem mal wieder einfach ausgesessen wird.
Das ist meine persönliche Wahrnehmung der Dinge. Ich bin lediglich Urlauber und als Hamburger fein raus, da ich auch über Schweden fahren kann, was ich übrigens aus privaten Gründen in den letzten Jahren bei der Hinfahrt auch so gemacht habe. Für den Standort Bornholm wünsche ich mir, dass es der Staat die Bedürfnisse und Sorgen der Bevölkerung ernst nimmt. Auch befürchte ich, dass bei einer weiteren Schwächung des Wirtschaftsstandorts die Folgekosten unter Umständen viel höher werden könnten.
Loriot